Divergenz bei der Verschuldung: Investoren am Scheideweg

12 min zu lesen 6 Mai 25

Die Welt steht vor einem Schuldenproblem in Höhe von 250 Billionen USD. Die globale Verschuldung schwillt weiter an, und es gibt keine Anzeichen für ein Nachlassen dieser Entwicklung. Die Investoren beginnen sich zu fragen, wie lange Regierungen ein solches Niveau aufrechterhalten können. Harriet Habergham untersucht, wie es dazu kam, welchen Weg wir vor uns haben und was das für Anleiheninvestoren bedeutet.

In einem Museum in der Bank of Scotland in Edinburgh können Sie einen einzigartigen Anblick genießen: Dort sind eine Million britische Pfund in 5-Pfund-Noten ausgestellt. Die Scheine sind kein gesetzliches Zahlungsmittel, doch sie verdeutlichen den Wert des Geldes. Denn einst hätte man mit dieser Summe zur Schuldentilgung eines ganzen Landes beitragen können. Und wenn wir heute über Staatsausgaben und -schulden sprechen? Da haben wir uns längst an Milliarden- und Billionensummen gewöhnt. Sie sehen also eine Million Pfund vor sich liegen und wissen, dass die weltweiten Schulden im Jahr 2023 bei $ 250 Billionen lagen.1 Das verdeutlicht das Ausmaß des Problems, vor dem die Welt steht – einer exponentiell gestiegenen staatlichen Verschuldung. Noch vor zehn Jahren, also 2015, waren es weltweit weniger als 60 Billionen Dollar. Und die Staatsschulden werden in diesem Jahr wahrscheinlich weiter steigen.

Beim Davoser Weltwirtschaftsforum im Januar sagte Gita Gopinath vom Internationalen Währungsfonds (IWF), die Situation sei „schlimmer als Sie denken“2.

Eine solch hohe Verschuldung hat weitreichende wirtschaftliche, politische und soziale Folgen. Ja, wir haben uns daran gewöhnt, mit hohen Schulden zu leben. Doch mittlerweile ist ein Niveau erreicht, bei dem Investoren erkennen, dass der Weg – zumindest in einigen Teilen der Welt – in einer Sackgasse enden könnte. Wie Robert Burrows, Manager der M&G Global Macro Bond Strategy, anmerkt: „Schulden spielen so lange keine Rolle, bis sie es doch tun.“

Die steigende Verschuldung ist jedoch kein weltweit gültiger Trend. Rund um den Globus gibt es eine Reihe von Ländern, deren Haushaltslage sich verbessert hat. Sie profitieren davon, dass sie weniger verschuldet sind als viele „Erste-Welt-Länder“. Insgesamt steht die Weltwirtschaft jedoch an einem Scheideweg. Wie sind wir an diesen Punkt gelangt? Warum ist das Thema so wichtig? Und was bedeutet das alles für Investoren?

 

Wenn Schulden zur Existensfrage werden

Klar ist, dass mit „Schulden“ viele negative Assoziationen verbunden sind. Staatsschulden sind aber auch ein wichtiges Instrument für die wirtschaftliche Entwicklung. Sie können das Wachstum ankurbeln und wichtige Projekte wie Infrastruktur, Bildung und Gesundheit voranbringen. Gerade in Phasen der Rezession sind sie ein wichtiger Stellhebel, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen.

Der erste Finanzminister der USA, Alexander Hamilton, sagte dazu: „In besonderen Notfällen ist eine Kreditaufnahme ohne Zweifel notwendig. Ebenso offensichtlich ist es, dass eine Kreditaufnahme zu guten Bedingungen nur möglich ist, wenn die Nation einen guten Ruf als Schuldner genießt.“3

Damit Regierungen Anleihen ausgeben und Kapital zu einem angemessenen Preis beschaffen können, müssen sie ihre Glaubwürdigkeit und Kreditwürdigkeit aufrechterhalten.

In den letzten Jahrzehnten ist die weltweite Verschuldung jedoch dramatisch angestiegen, besonders in der westlichen Welt. Das gilt vor allem für die Zeit nach der Weltfinanzkrise 2008/09 und als Reaktion auf die Corona-Pandemie im Jahr 2020. Ende 2023 lag die Gesamtverschuldung der OECD-Staaten im Verhältnis zum BIP bei rund 83 %. Das waren 30 Prozentpunkte mehr als 2008 und das, obwohl die höhere Inflation in den letzten beiden Jahren zu einem Rückgang um mehr als 10 Prozentpunkte beigetragen hat.4

Ein Großteil dieses neuen Schuldenbergs entstand, als nach der Weltfinanzkrise die Zinsen niedrig und die Geldpolitik locker war. Burrows merkt an, dass „die Verschuldung weiter steigen kann, solange die Zinssätze sehr niedrig bleiben“. Er ergänzt allerdings: „Die höheren Zinsen werden jetzt zu einem Problem. Das Zinsniveau bei Anleihen stellt die Regierungen vor Herausforderungen, weil sie den Spielraum für Investitionen verkleinern.“

„Wenn Ihre Zinslast steigt, können Sie mit dem Geld keine Krankenschwestern und Feuerwehrleute bezahlen, und Sie können auch nicht in neue Infrastrukturen investieren. Und ohne Wachstum fehlen die Einnahmen zur Schuldentilgung – so entsteht in gewissem Maße ein Teufelskreis“, fügt Burrows hinzu.

Die Zinssätze in den USA sind angesichts der rasanten Inflation nach der Corona-Pandemie erheblich gestiegen. Der US-Leitzins lag zwischen Juli 2023 und August 2024 – also mehr als ein Jahr lang – bei 5,5 %.5 Dieser starke Anstieg und die ständig wachsende US-Schuldenlast hatten Folgen. Im Jahr 2023 überstiegen die Zinszahlungen für die US-Staatsverschuldung erstmals die Marke von 1 Billion Dollar.6


Ben Lord, Manager der M&G Global Corporate Bond Strategy, weist auf eine wichtige Tatsache hin: Die eigentliche Höhe der Verschuldung ist weniger wichtig als die Frage, ob das Land sie tragen kann. Lord merkt beispielsweise an, dass die Renditen 10-jähriger US-Staatsanleihen – also der beim Kauf von den Investoren geforderte Zins – bei 4,5 % liegen. Demgegenüber liegt die Inflation zwischen 2 und 2,5 % und das reale BIP-Wachstum bei über 2 %. Die derzeitige Verschuldung in den USA ist also tragbar. Und wenn das US-BIP nicht mehr wachsen und die Inflation bei 2 % verharren sollte? Dann würden sich die Investoren zunehmend fragen, ob sich das Land den 10-jährigen Kreditzinssatz leisten kann.

Wie geht es weiter mit der Staatsverschuldung?

Es ist unwahrscheinlich, dass das Angebot an Staatsschulden bald abnimmt. Angesichts von Demografie, Deglobalisierung und Dekarbonisierung werden die Staatsausgaben wahrscheinlich weiter steigen. Lord betont: „Die westliche Welt hat diese Systeme für die Babyboomer aufgebaut. Die Babyboomer wollten sie. Und jetzt beginnen die Babyboomer, die Früchte in stärkerem Maße zu ernten.“

Dies zeigt sich in den USA, wo die demografische Entwicklung den Bedarf anheizt. Die Kosten für Sozialfürsorge und Medicaid werden in den kommenden Jahren wahrscheinlich steigen. Das Defizit für das Jahr 2024 betrug 1,8 Billionen US-Dollar; in diesem Jahr wird es voraussichtlich auf 1,9 Billionen ansteigen.7 Nach Angaben des Haushaltsbüros des Kongresses (CBO) lagen die Defizite seit der Großen Depression nur während und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, der Weltfinanzkrise und der Corona-Pandemie höher. Längerfristig prognostiziert das CBO, dass die US-Staatsverschuldung bis 2054 rund 166 % des BIP erreichen wird.8

Der Aufstieg populistischer Politik hat den Druck auf die Schuldenlast erhöht. 2024 zeigte sich das weltweit, als in mehr als 50 Länder die Wahlberechtigten den Urnengang antraten.9 Ob in den USA, im Vereinigten Königreich und anderswo: Über das gesamte politische Spektrum hinweg warben die Parteien mit einer expansiven Finanzpolitik um Stimmen. In den USA beispielsweise vertraten sowohl Republikaner als auch Demokraten eine Politik, die auf ein erhöhtes Staatsdefizit hinausläuft.

„Schulden sind egal – bis sie es nicht mehr sind.“

Wohin steuert die weltweite Staatsverschuldung?

Allgemein wird davon ausgegangen, dass die USA aufgrund ihrer Sonderstellung als Nation mit der Weltreservewährung ihr Defizit weiter erhöhen können, ohne dass die Anleihemärkte dies bestrafen. Es könnte jedoch ein Punkt kommen, an dem die Investoren sagen: „Jetzt reicht es.“

„Schulden spielen definitiv eine Rolle, wir wissen nur nicht, wann genau ein Wendepunkt erreicht wird. Angesichts der gestiegenen Schuldenstände müssen wir diesem Punkt jedoch nähergekommen sein als noch vor zwei Jahren“, sagt Burrows. Den Investoren wird immer klarer, dass selbst den Regierungen der am weitesten entwickelten Staaten der Handlungsspielraum ausgehen könnte. Daher „werden die Regierungen zunehmend protektionistischer und das Kapital wechselbereiter“, so Burrows.

Und wenn der Anleihemarkt befürchtet, dass sich eine Volkswirtschaft die Kreditaufnahme zum aktuellen Marktzins nicht mehr leisten kann? Für diesen Fall rechnet Lord mit einer aggressiven und spürbaren Reaktion. Dann muss ein Niveau gefunden werden, bei dem die Anleihemärkte das Gefühl haben, für die Risiken der Staatsanleihen angemessen entlohnt zu werden. „In einem solchen Umfeld wäre ich für langlaufende Anleihen viel nervöser als für kurzlaufende“, sagt er.

Tatsächlich sehen wir bereits Anzeichen für eine solche Entwicklung. Im vierten Quartal 2024 stiegen die Schätzungen für die Laufzeitprämie leicht an. Dies deutet darauf hin, dass die Investoren bei langfristigen US-Staatsanleihen einen höheren Risikoaufschlag verlangen. Auch die Staatsanleihen-Auktionen Ende 2024 wiesen in diese Richtung: Einige der monatlichen Auktionen schlossen mit einer höheren Rendite als seit 2022 erwartet. Darin spiegelt sich die mangelnde Bereitschaft der Investoren wider, das ständig wachsende Angebot an Staatsanleihen aufzunehmen.10

Andrew Chorlton, CIO Fixed Income, betont: „Die Regierungen der Industrieländer müssen Anleihen verkaufen. Und wer Anleihen zu verkaufen hat, muss einen Käufer dafür finden – das ist das Grundprinzip von Angebot und Nachfrage.“

Diese zunehmende Nervosität und Volatilität zeigt sich ganz besonders in Großbritannien.

Das Vereinigte Königreich hat seit 1970 nur fünfmal einen Haushaltsüberschuss erzielt, zuletzt 2000/2001.11 Zudem steht das Land vor einer Reihe von Herausforderungen. Dazu gehören das geringe Wirtschaftswachstum und die niedrige Produktivität, eine alternde Bevölkerung, eine hohe Staatsverschuldung und hohe Kreditkosten.12

Hinzu kommt, dass die Realzinsen derzeit über der realen BIP-Wachstumsrate liegen. Dies erschwert es, die Schuldenquote im Verhältnis zum BIP zu senken, ohne im Gegenzug die öffentlichen Ausgaben einzuschränken.

Angesichts dessen beobachten die Märkte genau, ob die Staatsschulden für Großbritannien tragbar sind. Dies zeigte sich während der „Gilt-Krise“ im Jahr 2022. Der damalige Kanzler Kwasi Kwarteng hatte in seinem „Mini-Haushalt“ Steuersenkungen und den Verzicht auf höhere Beiträge zur Sozialversicherung ankündigte. Der später als „Trussonomics“ bezeichnete Haushalt sah darüber hinaus zusätzliche Staatsausgaben vor, um eine Obergrenze für Energiepreise zu finanzieren. Weniger Einnahmen, höhere Ausgaben – das hätte zu einer Ausweitung des Defizits geführt. Daraufhin stiegen die Renditen für britische Anleihen („Gilts“) sprunghaft von 3,5 % auf 4,3 %. Die Investoren warfen britische Staatsanleihen eilig aus ihren Depots.13 „Der Markt hatte seine Grenze erreicht“, fasst Chorlton zusammen.

Burrows zufolge hat die Episode mit Liz Truss im Jahr 2022 gezeigt, „wie flüchtig das Vertrauen sein kann“. Er fügte hinzu: „Sobald die Beobachter entscheiden, dass sie mit einem bestimmten Anleihemarkt nichts mehr zu tun haben wollen, können sich die Kurse schnell ändern.“

Den fiskalischen Spielraum des Vereinigten Königreichs hält Lord für „sehr gering“. Darum sind die Märkte wachsam, wenn sie eine Verschwendung von Steuergeldern befürchten. So schwächelten die Märkte beispielsweise nach dem jüngsten Haushalt der Labour-Regierung. Dieser hatte Steuererhöhungen für den privaten Sektor vorgesehen, die das Wachstum belasten könnten. Schätzungen zufolge wird der Haushalt das Emissionsvolumen der britischen Staatsanleihen in Richtung 300 Milliarden Pfund treiben.14 Diese Größenordnung wird den Kaufwillen der Investoren weiter auf die Probe stellen. Der Anleihemarkt hat bereits reagiert: Die Renditen von 10-jährigen Gilt-Anleihen kletterten im Januar 2025 auf ein Niveau, wie es zuletzt in der Finanzkrise 2008 erreicht wurde15.

Chorlton hält dies jedoch für weniger kritischer, als es klingt. Das Phänomen ist teilweise auf das Ende des Programms zur quantitativen Lockerung (QE) zurückzuführen, das nach der Weltfinanzkrise über ein Jahrzehnt hinweg lief. Die Bank of England war dabei als Käufer von Gilts aufgetreten, was die Preise künstlich gedrückt hat. Jetzt „gibt es eine Menge Anleihen, die der Markt aufnehmen muss. Das führt zu Preiskorrekturen. Die Bonität der britischen Regierung hat sich in den letzten Monaten nicht dramatisch verändert. Der Preis spiegelt jetzt einfach ein angemessenes Gleichgewicht von Risiko und Ertrag wider, ohne die Verzerrung durch QE“, erläutert der CIO.

„Man muss die Marktteilnehmer davon überzeugen, [britische Staatsanleihen] zu kaufen, und so ergibt sich der Clearingpreis. Er ist gesund, doch die Regierung muss sehr wachsam sein.“

Unterschiedliche Wege in der Schuldenlandschaft

Im Euroraum zeigt sich die Wirkung der unterschiedlich hohen Staatsverschuldung besonders deutlich. Hier gibt es eine einheitliche Währung und eine gemeinsame Zentralbank – das Kreditrisiko der einzelnen Länder ist also klar erkennbar.

Dies lässt sich an der Divergenz zwischen Frankreich und Griechenland ablesen. Frankreich galt früher als stabile Volkswirtschaft. Heute sitzt das Land auf einem hohen Schuldenberg, die Wachstumsraten sind niedrig und die Wählerschaft unkooperativ.

Diese Negativfaktoren zeigen Wirkung: Französische Staatsanleihen (OAT) warfen im November 2024 kurzzeitig mehr Rendite ab als griechische16, obwohl die Probleme Griechenlands während der Euro-Schuldenkrise bei vielen noch im Kopf sind. 

Nach einer Umstrukturierungsphase kann Griechenland jetzt primäre Haushaltsüberschüsse erzielen. Das Land hat sogar einen Teil seiner Schulden aus dem Rettungsprogramm von 2010 zurückgezahlt: Die Heraufstufung auf einen Investment-Grade-Status hat seinen Zugang zu günstigeren Finanzierungen verbessert.17 Das Beispiel zeigt, wie wichtig die Glaubwürdigkeit bei den Investoren ist, auch was die Tragfähigkeit der Schulden angeht.

Im Grunde besteht eine positive Rückkopplungsschleife: Länder mit einem tragfähigen Schuldenstand haben einen besseren Zugang zu Krediten. So können sie ihre Schulden bedienen und in ihr Land investieren. Dies wiederum wirkt sich auf das Wachstum aus, wie das Beispiel Griechenland zeigt: Zwischen 2019 und 2024 ist dessen Pro-Kopf-BIP um mehr als 11 % gewachsen. In Frankreich waren es im gleichen Zeitraum weniger als 2 %.18

„Man muss die Marktteilnehmer davon überzeugen, [britische Staatsanleihen] zu kaufen, und so ergibt sich der Clearingpreis. Er ist gesund, doch die Regierung muss sehr wachsam sein.“

Globale Schulden: Auf der Suche nach einem anderen Weg

Was bedeutet diese Dynamik für die Allokationsentscheidungen von Investoren?

Burrows argumentiert: „Wenn Volkswirtschaften in finanzielle Schwierigkeiten geraten, ist man anderswo besser aufgehoben – das ist eine einfache Anlagethese.“

Burrows sieht durch die zunehmende Fluchtbereitschaft des Kapitals nutzbare Anlagemöglichkeiten entstehen. Dabei ist ihm bewusst, dass Veränderungen im Markt „rücksichtslos und brutal“ sein können. Auch wenn wir den Auslöser nicht kennen, können politische Umwälzungen und andere Veränderungen zu „sehr schnellen und scharfen Bewertungsänderungen“ führen.

„Diese Risiken müssen wir uns bestmöglich vor Augen halten. Die Portfolios sollten unserer Einschätzung nach auf sicherere Länder ausgerichtet sein, um Kapitalverluste zu vermeiden", fügt er hinzu.

Lord vertritt die gleiche Meinung. Er argumentiert, dass es in Zeiten einer Finanzkrise „das Wichtigste ist, bestimmte Länder zu vermeiden und einen Fonds zu haben, der in verschiedenen Teilen der Welt investieren kann.“

Sowohl Lord als auch Burrows betrachten verstärkt Länder mit einem tragfähigeren Schuldenstand. Dazu gehört zum Beispiel Neuseeland; dem IWF zufolge beträgt dessen Schuldenquote 48,6 % des BIP.19 Die neuseeländische Regierung hat sich verpflichtet, künftig wieder Haushaltsüberschüsse anzustreben und die Verschuldung im Verhältnis zum BIP zu senken.

Das Land hat in den 1980er Jahren seine eigene Haushaltskrise erlebt – mit hoher Inflation, steigender Arbeitslosigkeit und wachsenden Schulden. Danach hat es seine Fiskalpolitik angepasst und eine Zielvorgabe aufgenommen, nach der ein ausreichendes Nettovermögen als Puffer für wirtschaftliche Schocks vorhanden sein soll. Dazu gehört auch, dass in jedem Haushaltsjahr die gesamten operativen Ausgaben geringer sein sollen als die laufenden Einnahmen.20

Die beiden Rentenfondsmanager finden unter diesem Blickwinkel auch Australien, Norwegen und die Vereinigten Arabischen Emirate interessant. Die Fundamentaldaten dieser Länder sind solider als die vieler anderer Industriestaaten, und ihre Verschuldung im Verhältnis zum BIP ist niedrig.

Was bedeutet das für Unternehmensanleihen?

Staats- und Unternehmensanleihen sind untrennbar miteinander verbunden. Die Renditen von Unternehmensanleihen setzen sich aus zwei Komponenten zusammen: der Rendite der jeweils zugrundeliegenden Staatsanleihen und dem Credit Spread (also der Risikoprämie) für die Kreditvergabe an ein Unternehmen. Wie wirkt sich die derzeitige Dynamik auf den Staatsanleihe-Märkten auf das Universum der Unternehmensanleihen aus?

Die Haushaltslage in vielen Industrieländern verschlechtert sich zusehends. Daher könnte ein Punkt erreicht werden, an dem die Investoren eine hochwertige Unternehmensanleihe einer Staatsanleihe vorziehen, so Chorlton.

Dabei gibt es Lord zufolge eine wichtige Überlegung: Man kann US-Staatsanleihen wählen, die mit AA+ bewertet sind und 4,5 % abwerfen. Oder man erhält 30 Basispunkte mehr für Microsoft, das mit AAA bewertet ist. Könnte man dann sagen, dass Microsoft ein stärkerer Kreditnehmer ist als die US-Regierung?

„In einer Finanzkrise müsste man diese Frage bejahen: Microsoft hat sich nicht übermäßig hoch verschuldet oder seinen pensionierten Mitarbeitern unerschwingliche Leistungen zugesagt. Zudem nimmt das Unternehmen mehr Geld ein als es ausgibt. Man könnte also sagen, dass es ein stärkerer Kreditnehmer ist“, sagt Lord.

Dies verändert sich jedoch in der Regel schnell, merkt Lord an. Denn im Falle einer Haushaltskrise wird die Regierung zu Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen greifen – und sie wird das Geld dort holen, wo sie es bekommen kann: also typischerweise bei den finanzstärksten Unternehmen oder den wohlhabendsten Privatpersonen. In diesem Szenario würden die Aussichten von Unternehmensanleihen leiden, während Staatsanleihen gestärkt würden: „Die Regierung hat im Allgemeinen einen Handlungsspielraum, was nicht unbedingt heißt, dass es langfristig so bleiben muss.“

Unternehmensanleihen werden derzeit zu Höchstkursen gehandelt. Dennoch könnte der Fall eintreten, dass sie von Staatsanleihen verdrängt werden: Dann nämlich, wenn ein großes Angebot an Staatsanleihen auf den Markt kommt und die Rendite der Unternehmensanleihen nicht schnell genug steigt. In diesem Fall wird der Spread – also der Renditeabstand von Staats- zu Unternehmensanleihen – so stark verengt, dass die Investoren irgendwann beschließen, dass sie für das eingegangene Risiko nicht angemessen entlohnt werden.

 

Ein Abstecher in die Schwellenländer 

In den Schwellenländern (EM) beobachten wir eine ähnliche Zweiteilung wie in der westlichen Welt. Es gab Steuerreformen in denjenigen EM-Volkswirtschaften, die zuvor als die anfälligsten galten. Zugleich haben mehrere Schwellenländer mit mittlerem Einkommensniveau ihre Ausgaben deutlich erhöht.

Die Schwellenländer haben insgesamt einen eher niedrigeren Schuldenstand, erläutert Claudia Calich, Fondsmanagerin für Schwellenländeranleihen. Viele von ihnen nehmen jedoch auf den internationalen Märkten Kredite in Hartwährungen auf – also in Währungen wie dem US-Dollar oder Euro, die in der Regel als stabiler angesehen werden. Aus diesem Grund tolerieren die Märkte bei den Schwellenländern keine hohen Verschuldungsniveaus. Diese könnten sich also kaum in ähnlich hohem Maße verschulden wie die entwickelten Länder. Hinzu kommt ein Schlüsselelement dafür, dass Staaten ihre Schulden bedienen können: die Steuereinnahmen. Diese sind in den Schwellenländern in der Regel niedriger, was an der Struktur ihrer Volkswirtschaften und den Einkommensniveaus liegt.

Es gibt jedoch einige Schwellenländer, die umfangreiche Steuerreformen durchführen und dadurch mehr Kapital anziehen. „Wenn die fiskalische Anpassung als vertretbar und dauerhaft wahrgenommen wird, werden solche Länder von den Märkten ganz klar belohnt“, so Calich.

Argentinien ist eines der prominentesten Beispiele dafür. Das Land hatte vor der Wahl von Präsident Javier Milei im Jahr 2023 lange mit finanziellen Problemen zu kämpfen. Der Begriff „Kettensägen-Ökonomie“ ist in den Sprachgebrauch eingegangen, nachdem Milei im Wahlkampf symbolisch eine Kettensäge geschwungen hatte. Sein erklärtes Ziel war es, die argentinische Wirtschaft zu sanieren. Seit seinem Amtsantritt hat Milei öffentliche Bauvorhaben gestoppt, Renten und Gehälter im öffentlichen Dienst gekürzt, Energie- und Verkehrssubventionen reduziert und mehr als 30.000 Stellen in der Verwaltung gestrichen.21

In der Folge hat Argentinien zum ersten Mal seit über einem Jahrzehnt einen Haushaltsüberschuss erzielt. Das Plus für das Jahr 2024 lag bei 1,8 % des BIP bzw. bei 0,3 % nach Berücksichtigung der Zinszahlungen.22 Diese Entwicklung spiegelte sich in den Renditen der Anleihemärkte wider: Argentinien gehörte 2024 zu den Ländern mit der besten Performance.

Ähnlich verhält es sich mit Ländern wie Ägypten und der Türkei. Sie haben die Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit hinter sich und streben nun primäre Haushaltsüberschüsse an. Ägypten zielt für das im Juni 2027 endende Haushaltsjahr auf 5 %, während die Türkei für 2025 einen Überschuss von 0,5 % des BIP erreichen will.23

Diese Länder versuchen also, ihre Haushaltslage zu verbessern. Andere Staaten wie Brasilien und Mexiko dagegen lockern ihre Haushaltspolitik, obwohl ihre makroökonomischen Fundamente früher als vergleichsweise stabil galten. Mexikos Haushaltsdefizit wird 2024 voraussichtlich auf 6 % des BIP ansteigen, also auf den höchsten Stand seit zwei Jahrzehnten. Der Thinktank „Official Monetary and Financial Institutions Forum“ führt dies auf die erhöhten öffentlichen Investitionen in große Infrastrukturprojekte und die steigenden laufenden Ausgaben zurück.24

In Brasilien sorgt die Strategie der Regierung Lula für fiskalische Probleme. Geplant sind höhere Sozialausgaben, was jedoch zu einem steigenden Defizit führt. Im Januar 2025 kletterte der Leitzins auf 13,25 %. Dies wird wahrscheinlich zu einem Anstieg der Schuldenquote von 77,3 % im Jahr 2024 auf 85 % im Jahr 2026 beitragen.25

Dieser Trend zu divergierenden Haushaltslagen spiegelte sich 2024 auch in den Credit Spreads wider, also der Renditedifferenz zwischen Schwellenländer- und US-Staatsanleihen. Überproportional verringert haben sich die Renditen in denjenigen schwächeren Ländern, die einen Erholungskurs eingeschlagen haben. Daher schnitt das hochverzinsliche Segment der EM-Staatsanleihen 2024 vergleichsweise besser ab.26

Die Schwellenländer sind insgesamt nicht nur tendenziell weniger verschuldet, sie profitieren auch von einem politischen Anker: dem Internationalen Währungsfonds (IWF). Insgesamt 29 Länder im Emerging Market Bond Index Global Diversified – sie machen 27 % des Indexgewichts aus – nehmen an einem IWF-Programm teil. Das ist der höchste Stand seit 2010, wie Untersuchungen von Morgan Stanley zeigen.27

Calich kommentiert das so: „Länder mit begrenzten Finanzierungsmöglichkeiten beteiligen sich oft an einem IWF-Programm, um Zugang zu kurzfristigen Finanzmitteln zu erhalten. Dies soll ihnen eine Atempause verschaffen und die Möglichkeit geben, ihren fiskalischen Rahmen zu verbessern, der oft die Ursache des Problems ist.“

In den Schwellenländern und anderswo bewerten die Investoren das Risikoniveau einzelner Staaten neu: Denn es hat sich gezeigt, dass der Weg aus fiskalischer Sicht auseinandergeht. Einige Staaten streben nach Stabilität, andere sind mit einer problematischeren fiskalischen Realität konfrontiert. Letzteres wird den Appetit der Anleihemärkte wohl auf die Probe stellen. „Die Schulden der Schwellenländer bereiten immer Sorgen. Bei diesen Staaten ging es schon immer darum, die länderspezifischen Faktoren zu analysieren“, betont Calich.

Aktive Manager sind unserer Meinung nach gut aufgestellt, um die Risiken zu managen und die Chancen der Divergenz zu nutzen – angesichts einer weiter zunehmenden globalen Verschuldung.

Der Wert eines Investments kann sowohl fallen als auch steigen. Dies führt dazu, dass Preise steigen und fallen können, und Investoren bekommen möglicherweise weniger zurück, als sie ursprünglich investiert haben. Die frühere Wertentwicklung stellt keinen Hinweis auf die künftige Wertentwicklung dar. Die in diesem Dokument zum Ausdruck gebrachten Ansichten sollten nicht als Empfehlung, Beratung oder Prognose aufgefasst und nicht als Empfehlung zum Kauf oder Verkauf eines bestimmten Wertpapiers betrachtet werden.

1 International Währungsfonds, '2024 Global Debt Monitor', (imf.org), Oktober 2024.

2 Weltwirtschaftsforum, „Public debt levels are deeply troubling: Experts at Davos 2025", (wef.org), Januar 2025.

3 US Finanzministerium, „What is the national debt?’, (fiscaldata.treasury.gov), Februar 2025.

4 OECD, „Global Debt Report 2024’, (oecd.org), März 2024.

5 Trading Economics, „United States Fed Funds Interest Rate”, (tradingeconomics.com), Februar 2025.

6 CNBC, „Interest payments on the national debt top$1 trillion as deficit swells“, (CNBC.com), September 2024.

7 Haushaltsbüro des Kongresses (CBO), „The budget and economic outlook: 2025 to 2035“, (cbo.gov), Januar 2025.

8 Haushaltsbüro des Kongresses (CBO), „The long-term budget outlook: 2024 to 2054“, (cbo.gov), März 2024. Prognose für 2025

9 Weltwirtschaftsforum, "2024 ist ein Rekordjahr für Wahlen",  (weforum.org), Dezember 2023.

10 Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, „BIS quarterly review”, (bis.org), Dezember 2024.

11 The Guardian, „Reeves’s radical change to fiscal rules could go further”,  (theguardian.com), Oktober 2024.

12 Economics Observatory, „Bond markets and the UK's public finances“, (economicsobservatory.com), Februar 2025.

13 The Guardian, „How Kwasi Kwarteng's mini-budget hit UK economy“, (theguardian.com), September 2022.

14 Reuters, „UK budget to push gilt issuance toward 300 billion pounds, dealers say“, (reuters.com), Oktober 2024.

15 Reuters, „Sterling and UK gilt prices tumble“, (reuters.com), Januar 2025.

16 Bloomberg, „French 10-year borrowing costs match's Greece's for first time“,  (Bloomberg.com), November 2024.

17, 18 Financial Times, „The astonishing success of eurozone bailouts“, (ft.com), Dezember 2024.

19 Internationaler Währungsfonds, „General government gross debt”,  (imf.org), Februar 2025.

20 Neuseeländisches Finanzministerium, „Fiscal strategy”, (treasury.govt.nz), Februar 2025.

21 CNN, „Argentina’s Milei counts Trump and Musk as fans”, (edition.cnn.com), Dezember 2024.

22 Bloomberg, „Milei's budget cuts nets Argentina first surplus in over a decade“, (bloomberg.com), Januar 2025.

23 IMF, „Emerging markets’ two-way traffic“, (imf.org), Dezember 2024.

24 OMFIF, „Forget US election, Mexico’s real economic challenge lies at home“, (omfif.org), October 2024.

25 Fitch Ratings, „Brazil's fiscal, monetary tensions create negative feedback loop“, (fitchratings.com), Dezember 2024.

26, 27 Bond Vigilantes, „Emerging markets high yield post-mortem“, (bondvigilantes.com), Januar 2025.

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