DeepSeek und die Disruption der KI-Landschaft?

6 min zu lesen 13 Feb. 25

Mit der Einführung seines KI-Modells hat das chinesische Start-up DeepSeek einen Kurssturz bei US-Technologieaktien ausgelöst. Der Aktienkurs von Nvidia fiel zu Beginn der letzten Januarwoche um rund 17 %. Der Chiphersteller stand in den letzten Jahren im Zentrum des KI-Booms, und mit dem Kursrückgang sank seine Marktkapitalisierung um rund 600 Milliarden US-Dollar. Wie könnten sich die Fortschritte von DeepSeek auf Investoren und die KI-Entwicklung auswirken? Welche langfristigen Chancen bietet die aufstrebende Technologie? Jeffrey Lin, Head of Thematic Technology Equities, und Investment Director Johnny Hughes gehen diesen Fragen auf den Grund.

Nach dem Kurssturz haben sich die Aktienkurse wieder erholt. Dennoch hat das scheinbar aus dem Nichts aufgetauchte Unternehmen DeepSeek bei den Investoren Fragen aufgeworfen. Wie dominant sind die US-Technologieaktien im KI-Rennen wirklich? Wie steht es um ihr zukünftiges Wachstum und ihre Bewertungen?

Wettbewerb ist der Kern der Marktwirtschaft. Eine dominante Marktstellung ist selten garantiert, da immer wieder neue Unternehmen auftauchen und die Marktführer verdrängen. Ende Januar 2025 brachte ein bis dato unbekanntes chinesisches Unternehmen das Narrativ zur Zukunft der KI abrupt ins Wanken – das war auch in der Anlagewelt spürbar.

„Die Entwicklung eines vergleichbaren Modells, das offenbar effizienter und zu einem Bruchteil der Kosten verfügbar ist, führte zu starken Kursverlusten bei Aktien aus dem KI-Bereich. Zugleich stellt es die Annahmen zu KI-Investitionen in Frage.“
 

Was genau hat zu der jüngsten Panik unter Investoren in KI-Aktien geführt? Der Grund war die Einführung eines neuen Large Language Models (LLM) des chinesischen Start-ups DeepSeek. Das Modell liefert Antworten auf Eingaben der Nutzer, ähnlich wie ChatGPT von OpenAI.

Das Modell von DeepSeek scheint genauso gut zu funktionieren wie ChatGPT und die Modelle anderer US-Technologieriesen. Doch es gibt einen entscheidenden Unterschied: Das chinesische Unternehmen nennt deutlich geringere Trainings- und Betriebskosten als seine US-Pendants. Das neuentwickelte Modell scheint also – bei vergleichbaren Leistungen – effizienter und zu einem Bruchteil der Kosten verfügbar zu sein. Dies löste die kräftigen Kursverluste bei Aktien aus dem KI-Bereich aus; zugleich stellt es einige der etablierten Denkmuster bei KI-Investitionen in Frage.

Das innovative Produkt des Start-ups kam für viele Marktteilnehmer überraschend. Zuvor herrschte die Annahme, dass die US-Technologieunternehmen ihren chinesischen Konkurrenten im KI-Rennen voraus seien. Chinesischen Firmen wurde der Zugang zu den leistungsstärksten Chips von Nvidia verwehrt. Der Chatbot von DeepSeek scheint dennoch ähnlich gute Ergebnisse liefern zu können.

Berichten zufolge liegen die Entwicklungskosten des DeepSeek-Modell bei rund 5 Millionen US-Dollar. Das ist deutlich weniger als die Milliardeninvestitionen, die in die US-Modelle geflossen sind und mit denen Unternehmen wie Meta und Microsoft planen. Die tatsächlichen Entwicklungskosten könnten höher liegen, da vorbereitende Aufwände möglicherweise nicht berücksichtigt wurden. Doch auch wenn die genauen Kosten unklar sind, die Leistungsdaten von DeepSeek haben sich offenbar bestätigt.

Eigentlich sollte das keine schockierende Nachricht sein. China hat viele fähige Informatiker – das zeigt schon die Tatsache, dass sie das DeepSeek-Produkt mit geringerer Rechenleistung entwickeln konnten. Bisher standen US-Firmen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. DeepSeek könnte unterstreichen, welch große Rolle China weltweit im KI-Bereich spielt.

KI-Wettbewerb

Am stärksten von dieser Entwicklung betroffen ist wohl Nvidia, dessen Chips als zentrale Bausteine der KI-Infrastruktur gelten. In den letzten Jahren hat die Entwicklung neuer LLMs die Nachfrage nach Nvidias Chips angekurbelt und seine Umsätze in die Höhe klettern lassen. Im November 2024 meldete das Unternehmen einen Rekord-Quartalsumsatz von 35,1 Milliarden US-Dollar – 94 % mehr als im Vorjahreszeitraum.1

Nvidia war bisher der dominierende Akteur im KI-Zeitalter. Doch DeepSeek könnte ein Musterbeispiel für eine grundlegende wirtschaftliche Tatsache sein: Ein Unternehmen mit überdurchschnittlichen Gewinnen zieht Mitbewerber an – und seine dominante Marktstellung erweist sich als angreifbarer als angenommen. Bei der aktuellen Diskussion um Nvidia geht es um eine Kernfrage: Wenn man LLMs mit geringerer Rechenleistung entwickeln kann, werden Nvidia-Chips dann weniger stark nachgefragt als erwartet?

„Generative KI ist ein großer Anwendungsbereich, der sich in einem Reifungsprozess befindet. Doch es gibt auch andere Möglichkeiten für KI.“
 

Die Aufmerksamkeit des Marktes richtete sich auch auf einige der Konzerne, die Milliardensummen für Nvidia-Chips ausgegeben haben, um ihre Modelle und Anwendungen zu entwickeln. DeepSeek hat Fragen zu diesen Ausgaben aufgeworfen. Die Führungskräfte dieser Unternehmen gehören jedoch zu den wohl brillantesten Computerwissenschaftlern, die es gibt. Sie beschäftigen viele kluge Ingenieure und setzen ihr Kapital unserer Meinung nach sehr diszipliniert ein. Wenn sie weiterhin Rechenzentren aufbauen müssen, gehen wir davon aus, dass sie auch weiterhin investieren werden. Und wenn sie weniger ausgeben müssen als angenommen wird ihr freier Cashflow wahrscheinlich steigen. In jedem Fall werden sie eine Rendite auf das eingesetzte Kapital anstreben und die Investitionen monetarisieren wollen.

Die KI-Chance reicht unserer Meinung nach über die generative KI hinaus. Die wichtigsten Ausgangspunkte waren die Bilderkennung und die vorausschauende Analytik. Generative KI ist ein großer Anwendungsbereich, der sich in einem Reifungsprozess befindet. Doch es gibt auch andere Möglichkeiten für KI. Dazu gehört etwa die autonome KI, bei der Computer menschenähnliche Lern- und Entscheidungsprozesse abbilden. Oder nehmen Sie die Robotik – Industrieroboter und vielleicht in Zukunft sogar persönliche Roboter – und selbstfahrende Autos. Unserer Überzeugung nach kann KI eine potenzielle Chance für mehrere Jahrzehnte sein.

Die Auswirkungen von DeepSeek

Das DeepSeek-Modell könnte ein Katalysator für die KI-Entwicklung sein: Bei sinkenden Kosten könnten mehr Unternehmen versuchen, KI-Technologien einzusetzen. DeepSeek könnte also dazu beitragen, dass sich der adressierbare Markt für KI vergrößert.

Die Geschichte der Datenverarbeitung hat eines gezeigt: Wenn Computer leistungsfähiger werden, vergrößern ihre neuen Anwendungsmöglichkeiten den adressierbaren Markt. In den letzten Jahren waren die Halbleiterhersteller die größten Treiber der Entwicklung, allen voran Nvidia. Doch wenn die Software effizienter wird, lässt sich mit der gleichen Rechenleistung mehr erreichen.

„Das DeepSeek-Modell könnte ein Katalysator für die KI-Entwicklung sein.“
 

Was folgt daraus für Unternehmen, besonders für die Anbieter von Business-Software? Sie können KI weniger kapitalintensiv in ihre Produkte integrieren und die Entwicklung beschleunigen. Die resultierenden Verbesserungen lassen sich schneller in die Softwarelösungen einbauen – und damit wächst auch der Absatzmarkt.

Für diese Anbieter könnte es vorteilhaft sein, auf weitere große Sprachmodelle zurückgreifen zu können: Der Wettbewerb intensiviert sich, und sie können ihren Kunden eines oder mehrere Modelle zur Verfügung stellen.

Es gibt noch einen weiteren potenziell positiven Aspekt des DeepSeek-Modells: Es könnte das Potenzial eines kleinen Sprachmodells bestätigen. Anbieter von Unternehmenssoftware könnten ihren Kunden damit maßgeschneiderte Sprachmodelle an die Hand geben. Die Unternehmen haben in der Regel eigene Terminologien, Schlüsselwörter und Arbeitsabläufe. Durch diese Entwicklung könnten die Unternehmen maßgeschneiderte und auf ihre Anforderungen zugeschnittene Modelle erhalten.

Drei verschiedene Kategorien von KI-Chancen

Bei M&G Investments unterteilen wir die Anlagemöglichkeiten im KI-Bereich in drei Kategorien. Die erste Kategorie enthält die Unterstützer: Halbleiterfirmen und andere Unternehmen, die grundlegende Technologien für KI bereitstellen.

Die zweite Kategorie umfasst die Anbieter: Firmen aus dem Bereich Unternehmenssoftware und anderen Bereichen, die KI-Technologien übernehmen und in Produkte umsetzen. KI kann die Nutzung ihrer Produkte vereinfachen und sie benutzerfreundlicher machen; dafür können die Anbieter einen Aufpreis verlangen.

Die dritte Kategorie bilden die Profiteure: Firmen, die durch den internen Einsatz von KI ihr Geschäft ausbauen oder ihre Arbeitsabläufe effizienter gestalten können.

Die Anlagemöglichkeiten werden sich wahrscheinlich weiterentwickeln, beginnend mit den Unterstützern und der Entwicklung von Infrastruktur und LLMs. Mit zunehmendem Reifegrad können die Anbieter auf dieser Basis neue Produkte entwickeln. Und schließlich werden sich Möglichkeiten in der Kategorie der Profiteure ergeben, wenn die Unternehmen selbst KI einsetzen.

Aus unserer eigenen Anlageerfahrung heraus sehen wir immer mehr Anzeichen dafür, dass die Technologie sich weiterentwickelt und Unternehmen die bestehenden Modelle nutzen.

Der Technologiesektor ist mehr als nur Nvidia

Nvidia war das Aushängeschild für die neue Ära, doch es gibt in der Technologiebranche viele andere großartige Unternehmen. Wir haben den Softwaresektor angesprochen, doch auch andere Halbleiterunternehmen sind mit dem Thema KI verbunden, wenn auch nicht unbedingt auf der KI-Trainingsseite.

Wir glauben, dass in diesem Bereich viele Möglichkeiten bestehen und dass Technologie längerfristig eine Wachstumsbranche bleiben wird – so wie in den letzten 50 Jahren. Denn mit zunehmender Rechenleistung wächst auch der adressierbare Markt.

Einige Marktbeobachter haben die enormen Investitionen in KI mit denjenigen in das Internet und dem Platzen der Dotcom-Blase im Jahr 2000 verglichen. Tatsächlich sind viele große Unternehmen damals entstanden, als die Infrastruktur für das Internet aufgebaut wurde. Darunter sind Firmen wie Netflix, Facebook (jetzt Meta Platforms), Google und die gesamte E-Commerce-Branche.

Ist es mit KI genauso? Das ist möglich. Die KI-Modelle werden die Infrastruktur bilden. Dies wird Wachstumschancen für Unternehmen eröffnen, die diese Technologie nutzen können, und wir werden vielleicht auch die Gründung neuer Firmen erleben.

DeepSeek hat die etablierten Denkmuster erschüttert und ein Nachdenken über die Zukunft der KI angestoßen. Unserer Meinung nach könnte sich dies als einer der wichtigen Meilensteine in der Entwicklung der Technologie erweisen. Letztlich sehen wir darin ein Anzeichen dafür, dass die KI-Entwicklung weiter an Fahrt aufnimmt. Neue KI-Anwendungen könnten potenziell eher früher als später auf der Bildfläche erscheinen. Möglichkeiten wie autonome KI und KI-gesteuerte Robotik könnten durch ein beschleunigtes Innovationstempo schneller in greifbare Nähe rücken.

1 NVIDIA Announces Financial Results for Third Quarter Fiscal 2025 | NVIDIA Newsroom

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