Warum Standhaftigkeit zählt – auch wenn es unbequem wird

8 min zu lesen 5 Nov. 25

Will man als Anleger überdurchschnittliche Ergebnisse erzielen, muss man über einen Vorteil gegenüber anderen verfügen. Kennt man diesen Vorteil nicht oder kann ihn nicht formulieren, wird man wahrscheinlich die gleichen Renditen erzielen wie alle übrigen auch.

Als ich Anfang der 2000er Jahre bei M&G anfing, managten Jamie Hamilton (Co-Head des Fundamental Fixed Income-Bereichs von M&G) und ich unsere Fonds zunächst auf traditionelle Weise. Wir haben dann schnell erkannt, dass wir bestimmte Dinge gut konnten und andere Dinge weniger gut konnten. Daher haben wir uns entschieden, uns auf die Aspekte zu konzentrieren, die wir wirklich gut beherrschen. Auf diese Weise haben wir unsere heutige Anlagephilosophie entwickelt.

Unser Vorteil resultiert aus mehreren Faktoren. Erstens ist uns bewusst, dass sich das Umfeld laufend ändert und diese Veränderungen sehr schwer vorherzusagen sind – die größten Auslöser für Marktbewegungen kommen oft aus heiterem Himmel. Als Anleihe-Investor habe ich mir jedes Jahr im Januar einen Spaß daraus gemacht, eine Liste mit Dingen zu erstellen, die mir im Neuen Jahr Sorgen bereiten. Kam es dann an den Finanzmärkten zu einem Schock, stand dessen Ursache natürlich nicht auf meiner Liste. Das sollte einen aber nicht überraschen – denn wenn es keine Überraschung wäre, wäre der auslösende Faktor bereits in den Bewertungen berücksichtigt.

Also verzichteten wir darauf, weiterhin Prognosen über die Marktentwicklung zu erstellen, und konzentrierten uns stattdessen auf die folgende Frage: Werden wir als Anleger dafür kompensiert, das Risiko einer Investition in eine einzelne Unternehmensanleihe einzugehen? Oder gibt es eine andere Risikokombination, die mehr einbringt, oder eine mit demselben Renditepotenzial, die weniger Risiko beinhaltet? Wir haben uns also vom Versuch verabschiedet, die Zukunft vorherzusagen, und uns stattdessen ganz auf diese eine Frage konzentriert.

„Werden wir als Anleger dafür kompensiert, das Risiko einer Investition in eine einzelne Unternehmensanleihe einzugehen?“

Nur eine entscheidende Frage

Die Anleihen von Disney sind ein gutes Beispiel. Als es während der Corona-Pandemie zu Lockdowns kam, musste Disney alle seine Themenparks schließen. Dennoch musste das Unternehmen den Betrieb aufrechterhalten, was Geld kostete. Gleichzeitig versuchte man, Disney+ auf den Markt zu bringen, und gab viel Geld für Technologie, rechtliche Vereinbarungen und den Rückkauf von Disney-Titeln von anderen Streaming-Anbietern aus. Aus vielen Perspektiven mag dies katastrophal ausgesehen haben, aber für die Anleihegläubiger spielte all das keine Rolle. Die entscheidende Frage lautete für sie vielmehr: Wird Disney pleitegehen? Die Antwort war eindeutig: nein. Das Unternehmen verfügte über eine solide Bilanz und hervorragende Assets und würde auch in ein, zwei und drei Jahren noch existieren. Also fragten wir uns: Sollten wir Disney-Anleihen kaufen, obwohl sie so bewertet waren, als würde das Unternehmen in ein paar Jahren nicht mehr existieren? Und die Antwort war: ja.

Ein weniger extremes Beispiel war die Einführung der US-Importzölle im April dieses Jahres. Zwar konnten wir nicht genau vorhersagen, wie hoch die Zölle am Ende sein würden, aber wir konnten die grenzüberschreitenden Handelsvolumina betrachten und abschätzen, welche Unternehmen mehr oder weniger davon betroffen sein würden. So konnten wir die spekulativen Elemente ausblenden. Zwar gerieten damals alle Automobilhersteller unter Verkaufsdruck, aber die Nachrichten bedeuteten ja nicht, dass niemand mehr ein Auto kaufen würde oder dass die Hersteller keine Zulieferteile mehr benötigen würden. Sobald wir reine Spekulationen über die Zukunft ignorieren, können wir uns auf die tatsächlichen Risiken konzentrieren, die wir einzugehen bereit sind.

Die zweite Komponente unseres Wettbewerbsvorteils ist struktureller Natur. In der Regel verfügen große Asset Manager im Fixed Income-Bereich über Teams, die sich auf bestimmte Marktsegmente konzentrieren. Sie haben also ein US-Investment-Grade-Team, ein Emerging-Markets-Team, ein High-Yield-Team und so weiter. Unser größter Unterschied besteht darin, dass unsere Portfoliomanager sich nicht allein auf ihre Einzelmärkte konzentrieren, sondern dass jeder von uns Verantwortung für alle Portfolios trägt. Zwar gibt es innerhalb des Teams Spezialisierungen, aber jeder von uns weiß, was in allen Portfolios vor sich geht.

Wenn wir eine attraktive Anlageidee identifizieren – beispielsweise eine Anleihe, die wirklich günstig erscheint – stellen wir die Frage: Wie günstig ist sie tatsächlich? Ist sie im Vergleich zu anderen Anleihen ihres Sektors günstig? Oder ist der gesamte Sektor nach wie vor teuer? Ist sie im Vergleich zu Investment-Grade-Anleihen günstig, oder ist sie in absoluten Zahlen attraktiv? Die Antwort darauf bestimmt, in welche Kategorie die Anleihe gehört: High Yield, Investment Grade, Multi-Asset-Credits oder alle drei.

Deshalb verwenden wir eine Matrixstruktur, was die Zuständigkeiten für unsere Fonds betrifft. Jeder im Team kennt das Ziel jedes Portfolios. Wenn also jemand eine Anlagechance auftut, weiß er unmittelbar, wofür sie sich eignet. Unsere Mitarbeiter sollen auch die einfachsten Ideen untereinander teilen: „Ich habe diese Anleihe hier gefunden und meine, sie passt hervorragend in den High Yield-Bereich – aber vielleicht sogar noch besser ins Investment Grade-Segment.“ Das vermeidet das Denken in Silos. Letztlich geht es darum, für welchen Kunden oder Fonds eine Anleihe am geeignetsten ist.

Und wenn an den Finanzmärkten Risiken nicht belohnt werden, positionieren wir unsere Portfolios natürlich risikoärmer. Wir schauen uns die gehaltenen Titel an und fragen uns: Werden wir für dieses Risiko noch kompensiert? Ist das nicht der Fall, nehmen wir Gewinne mit. Und wenn wir keinen überzeugenden Ersatz finden, dann warten wir ab. Es gibt für uns also keinen Grund, unbedingt Positionen einzugehen. Mit dieser Geduld geht die Bereitschaft einher zu handeln, wenn sich neue Chancen ergeben.

Es ist nie einfach standhaft zu bleiben

Die beiden genannten Aspekte – wie wir über Märkte denken und wie wir unsere Teams strukturieren – sind tatsächlich die einzigen beiden Dinge, die ein Asset Manager kontrollieren kann. Unser Ziel ist ein möglichst stetiger Anlageerfolg, und dabei ist es wichtig, anders vorzugehen und – was elementar ist – diszipliniert zu sein. Disziplin bedeutet für uns, dass wir auch in Zeiten erfolgreich sind, in denen die Wertentwicklung mangels Anlagechancen nicht spektakulär ist. Das bedeutet aber auch, dass wir dank unserer Bewertungsdisziplin über die Mittel verfügen, um reagieren zu können, wenn sich wieder Chancen bieten. Das ist in der Regel der Fall, wenn etwas passiert ist, was am Markt für einen Kurseinbruch gesorgt hat.

Es ist nie einfach, in Zeiten hoher Bewertungen an den Märkten an seiner Überzeugung festzuhalten. Je länger eine solche Situation andauert, desto selbstverständlicher wird man seine Entscheidungen und sein Timing in Frage stellen – sogar zu fragen, ob „diesmal alles anders ist“. Unsere Erfahrung lehrt uns jedoch, dass dies selten der Fall ist. Die Märkte normalisieren sich irgendwann wieder, und die Welt geht nicht unter. Oft sind die unangenehmsten Entscheidungen die richtigen.

„Oft sind die unangenehmsten Entscheidungen die richtigen.”

Eines der wichtigsten Instrumente, über das Anleger verfügen – das jedoch oft übersehen wird – ist der Zeithorizont. Er taucht zwar am Ende nicht in der Bilanz auf, kann aber enorme Wirkung entfalten. Stehen die Märkte unter Druck und die Asset-Preise fallen, ist es von großem Vorteil, wenn man sagen kann: „Ich weiß, dass dies eine günstige Gelegenheit ist, und mir ist gleichgültig, wie hoch der Preis morgen sein wird, weil ich vom langfristigen Wert überzeugt bin“. Viele Anleger sind durch kurzfristige Zwänge eingeschränkt – Margin Calls, Risikolimits oder die Sorge um weitere Verluste – diese hindern sie daran zu handeln, wenn sie es eigentlich sollten.

Kunden verfügen oft über ein Zeitpolster, nutzen es aber nicht immer. Wir versuchen, sie dabei zu unterstützen, diese Stärke zu nutzen. Man sieht vielleicht keine unmittelbaren Ergebnisse, aber im Zeitverlauf zahlen sich entsprechende Entscheidungen in der Regel aus.

Hier kommt unsere Teamstruktur ins Spiel. In schwierigen Zeiten an den Finanzmärkten ist es für den Einzelnen schwer, standhaft zu bleiben und zum gegebenen Zeitpunkt entschlossen zu handeln. Dank unserer matrixartigen Teamstruktur muss jedoch niemand alleine handeln. Anlageideen werden bei uns geteilt, getestet und gegebenenfalls unterstützt. Es geht nicht darum, einen Einzelnen mit vollkommener Überzeugung zu finden, sondern darum, ein Netzwerk zu schaffen, das jedem das Selbstvertrauen zum Handeln gibt.

Bekanntes neu beleuchten

Die Investition in Unternehmensanleihen ist keine sonderlich spektakuläre Tätigkeit. Wir arbeiten mit einem großen Universum von Anlagekandidaten, in dem wir täglich dieselben Papiere aufs Neue analysieren, auf der Suche nach etwas Neuem. Dabei suchen wir nach Veränderungen bei den Fundamentaldaten der Anleihen, in deren Bewertung.

Am Anleihenmarkt folgen wir einem bestimmten Muster: Unternehmen nehmen ständig neue Mittel auf und refinanzieren bestehende Verbindlichkeiten und jeden Morgen sind wir in der Regel mit einer Vielzahl neuer Emissionen konfrontiert. In dieser Phase sind alle im Team damit beschäftigt, die Liste durchzugehen. Dabei gibt es einige besonders aktive Emittenten, deren Risiken wir bereits kennen. Am anderen Ende des Spektrums gibt es neue Unternehmen, über die unsere Analysten zum ersten Mal ihre Research-Ergebnisse austauschen.

Bei der morgendlichen Sitzung unseres Fixed Income-Teams geben die Analysten kurze Updates zu Unternehmensergebnissen und neuen Entwicklungen. Dies gibt uns Gelegenheit, unsere Portfolios zu durchleuchten und mit den Analysten die relevanten Punkte genauer zu besprechen. Zur Mittagszeit öffnet dann der US-Markt, und der ganze Prozess beginnt von vorne. Zwischendurch bearbeiten wir Kundenanfragen, erstellen Updates oder tauschen uns mit unserem Stewardship- und Nachhaltigkeitsteam aus, um unternehmensspezifische ESG-Themen zu besprechen.

Einer der interessantesten Aspekte dieser Arbeit ist, dass sie sich ständig verändert. Die Bedürfnisse der Kunden wandeln sich, die Märkte sind in Bewegung, und wir passen uns an – sei es durch Überarbeitung von Anlagerichtlinien oder das Überdenken von Portfolioansätzen. Man muss mit solchen Veränderungen klarkommen können. An manchen Tagen wünscht man sich zwar, die Welt würde innehalten, aber meistens ist es gerade das Tempo, welches unsere Arbeit so spannend macht.

Neugier ist dabei unerlässlich. Wenn man verstehen möchte, wie Handel, Politik, Wirtschaft und Unternehmensfinanzierung zusammenhängen, bietet einem diese Tätigkeit die Gelegenheit, all das zu analysieren. Dabei geht es nicht darum, perfekte Vorhersagen zu treffen – das kann niemand – sondern um die Bereitschaft, den Dingen auf den Grund zu gehen, Fragen zu stellen und Komplexität zu verstehen. 

Kürzlich wurde ich dafür kritisiert, dass ich das Wort „langweilig“ verwendet habe. Jemand sagte zu mir: „Du darfst nicht langweilig sagen, du musst diszipliniert sagen!“ Die Märkte mögen derzeit hoch bewertet sein, aber das Schöne bei Anleihen ist, dass es immer etwas zu tun gibt. Also üben wir uns in Geduld, wenn der Markt hoch bewertet ist, und warten darauf, dass sich etwas ändert. Wenn es soweit ist, werden Sie keinen Mucks mehr von uns hören: Wir sitzen dann vor den Bildschirmen, um Kaufgelegenheiten zu nutzen und das zu tun, was wir am liebsten tun. 

Der Wert eines Investments kann sowohl fallen als auch steigen. Dies führt dazu, dass Preise steigen und fallen können, und Investoren bekommen möglicherweise weniger zurück, als sie ursprünglich investiert haben. Die frühere Wertentwicklung stellt keinen Hinweis auf die künftige Wertentwicklung dar. Die in diesem Dokument zum Ausdruck gebrachten Ansichten sollten nicht als Empfehlung, Beratung oder Prognose aufgefasst und nicht als Empfehlung zum Kauf oder Verkauf eines bestimmten Wertpapiers betrachtet werden.

Mitwirkende
Richard Ryan, Co-Head of Fundamental Fixed Income

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