Aktien
15 min zu lesen 16 Apr. 24
2024 werden voraussichtlich mehr Menschen als jemals zuvor zu nationalen (oder im Falle des EU-Parlaments zu transnationalen) Wahlen an die Urnen gehen. Gewählt wird in insgesamt 91 Ländern, in denen fast die Hälfte der Weltbevölkerung lebt.
Medien und Branchenvertreter haben angesichts dessen viel über „erhöhte“ geopolitische Risiken diskutiert. Diese Risiken haben tatsächlich zugenommen, allerdings nicht überall und nicht in gleichem Ausmaß. Denn geopolitische Ereignisse beeinflussen die Finanzmärkte nur, wenn sie sich stark auf die Wirtschaft oder die jeweils marktrelevanten Volkswirtschaften auswirken. Ist dies nicht der Fall, wird eine daraus resultierende Volatilität zu einer günstigen Einstiegsgelegenheit für aktive Investoren. Denken Sie beispielsweise an die zunächst negativen Reaktionen der Aktienmärkte auf das Brexit-Referendum oder den Wahlsieg von Trump im Jahr 2016. Beides führte zu kurzfristigen, taktischen Anlagemöglichkeiten. Für die USA zeigen die historischen Daten, dass Wahlen die Richtung der Entwicklung inländischer Finanzanlagen mittelfristig kaum beeinflussen.
Große politische Veränderungen nach Wahlen können sich jedoch deutlich langfristiger auswirken: Auch wenn sie die Marktentwicklung vielleicht weniger direkt beeinflussen, da diese nicht nur von der Innenpolitik abhängt. Nehmen Sie beispielsweise die Wahl von Narendra Modi zum Premierminister Indiens im Mai 2014. Dies hat eine Reihe beispielloser politischer Maßnahmen nach sich gezogen, die Indiens längerfristige Wirtschaftsaussichten verbessert haben. Der Aktienmarkt des Landes hat sich seither gut entwickelt – allerdings weniger gut als in den zehn Jahren zuvor. Und dies, obwohl die damalige Politik als weit weniger unternehmens- und wirtschaftsfreundlich galt. Der indische Sensex stieg in den zehn Jahren vor Modis Amtsantritt im Jahresdurchschnitt um 14 %. In den knapp zehn Jahren seit Amtsantritt legte er um 8 % zu. Damit übertraf er den MSCI All Country World Index um 8 % bzw. 2 %.1
Wie immer steckt der Teufel im Detail: Einige der Wahlen könnten sich auf bestimmte Bereiche des Marktes auswirken; für andere könnten sie weniger bedeutsam sein. Ein vieldiskutierter Bereich wird beispielsweise als klarer Verlierer im Falle eines Trump-Sieges in den USA angesehen: Nachhaltigkeit und Investitionen in eine CO2-arme Zukunft. Die aktuellen Bewertungen vieler Unternehmen in diesem Bereich spiegeln diese Unsicherheit wider.
Präsident Biden hat mit staatlichen Eingriffen auf das Pariser Klimaabkommen reagiert. Der Inflation Reduction Act (IRA) stellt rund 400 Milliarden Dollar für die Finanzierung von sauberer Energie und Klimaschutz bereit. Donald Trump hat dagegen angekündigt, dass er den IRA im Falle eines Wahlsieges zurücknehmen wird. Zu berücksichtigen ist, dass der IRA für einen Zeitraum von zehn Jahren in das US-Steuergesetzbuch aufgenommen wurde. Um das Gesetz rückgängig zu machen, müssen sich beide Kammern des Kongresses und der Präsident einig sein. Zudem wird ein Bereich der IRA von beiden Parteien unterstützt: die Verbesserung der US-Netzinfrastruktur.
Das Gesundheitswesen ist ein weiterer Bereich, der im Zusammenhang mit den US-Wahlen oft diskutiert wird. Nach einem schweren Jahr 2023 hat sich der Sektor 2024 bisher etwas besser entwickelt – ungewöhnlich für ein Wahljahr. Das liegt zum Teil daran, dass die Demokratische Partei bereits gehandelt hat: Der IRA enthält eine Bestimmung, die im Laufe der Zeit den Anstieg der Arzneimittelpreise begrenzen und die Eigenleistungen der Patienten reduzieren wird. Zugleich sollen die Preise für Medicare-Arzneimittel über einen Zeitraum von 9-13 Jahren sinken.
Dies soll nicht heißen, dass bei der Reform des Gesundheitswesens nicht auch etwas Unerwartetes geschehen könnte. Präsident Biden hat vorgeschlagen, dass es im Rahmen von Medicare Preisverhandlungen für 50 Medikamente pro Jahr geben könnten. In der aktuellen Gesetzgebung sind nur 20 vorgesehen. Zudem hat er weitere Obergrenzen für die Ausgaben angesprochen, die Patienten selbst tragen müssen.
Trump hat seinerseits die Wiedereinführung einer Verordnung zur Preisgestaltung für Arzneimittel nach dem Meistbegünstigungsprinzip thematisiert. Die USA würden dann die gleichen Preise bezahlen wie ihre wichtigsten Handelspartner. Dies wäre eine schlechte Nachricht für den Sektor: Die Nettopreise in der EU liegen derzeit bei 50 % dessen, was die Hersteller in den USA erzielen.
Ob die oben genannten Maßnahmen umgesetzt werden, ist alles andere als sicher. Doch sie alle bergen Risiken, die wir bei der Zusammenstellung unserer Portfolios berücksichtigen müssen. Wir müssen abwägen, welche Folgen sie für die Bewertungen der Gesundheitsunternehmen und die Aussichten für das Gewinnwachstum haben könnten.
Einer unserer Fondsmanager hat es so formuliert: Die spannendsten Chancen in den USA liegen wahrscheinlich in Bereichen, über die keiner der Kandidaten zu sprechen scheint – beispielsweise im Krankenversicherungssektor.
Die Parlamentswahlen in Großbritannien könnten für die Märkte möglicherweise ein ganz anderes Ergebnis bringen. Derzeit erwarten die meisten einen Sieg der Labour-Partei. Die Marktteilnehmer und die Wirtschaft scheinen dies mit verhaltenem Optimismus aufzunehmen. Die oppositionelle Labour-Partei hat sich als wirtschaftsfreundlicher als früher präsentiert. Die Investoren hoffen daher auf eine stabile Phase in der britischen Politik, die seit 2016 gefehlt hat.
Ein anderer unserer Fondsmanager hat es so ausgedrückt: In 18 Monaten blicken wir vielleicht zurück und ordnen die Wahlen als Katalysator für einen Stimmungswandel bei den Investoren ein – eben wegen der begrenzten Veränderungen. Wichtig ist, dass wir wahrscheinlich Übereinstimmungen zwischen beiden politischen Lagern in Großbritannien sehen werden. Das gilt für Themen wie weitere Investitionen in Stromnetz, kritische Infrastruktur und nationale Verteidigung.
Allerdings stammen 75 % der Erträge des britischen Aktienmarktes aus dem Ausland. Daher sind der Ausgang der US-Wahlen und seine politischen Auswirkungen für die britische Aktiengesellschaften ebenso wichtig wie die britische Wahl.
Auch in Asien stehen dieses Jahr Wahlen an. Zwischen dem 19. April und 1. Juni wählen die indischen Wahlberechtigten ein neues Parlament. Es wird erwartet, dass die regierende Bharatiya Janata Party (BJP) gewinnt und Premierminister Modi eine dritte Amtszeit antreten kann. Der Sieg wird von den Märkten weitgehend eingepreist. Ein anderes Ergebnis könnte möglicherweise eine sehr schlechte Marktentwicklung auslösen. Während die politische Stabilität also wohl erhalten bleibt, wird sich die politische Richtung wahrscheinlich verändern. Indien hat sein Defizit während der Coronazeit verdoppelt. Nun ist das Land bestrebt, die Anreize abzubauen. Finanzministerin Nirmala Sitharaman hat bereits eine Haushaltskonsolidierung angekündigt. Dies könnte sich auf den Wachstumspfad und das Bewertungspotenzial einiger indischer Unternehmen auswirken, die von den Steuererleichterungen profitiert haben.
Weniger Beachtung finden die Wahlen, die Ende April in Japan anstehen. Die Zustimmungswerte für die Regierung von Premierminister Kishida sind mit rund 20-25 % sehr niedrig. Sollte Kishidas Partei die Nachwahlen zum Unterhaus verlieren, erwarten wir Rücktrittsforderungen. Trotz der Ungewissheit glauben wir nicht, dass dies die positive Dynamik des japanischen Aktienmarktes beeinträchtigen wird. Diese Dynamik wird durch Unternehmensreformen, Bilanzverbesserungen, Produktivitätswachstum und Gewinnsteigerungen gestützt.
In Asien und besonders in China wird die Marktvolatilität wahrscheinlich von den US-Wahlen getrieben. Donald Trump hat erhöhte Zölle auf Importe aus China angekündigt. Daher werden chinesische Unternehmen anfällig für Schlagzeilen im Zusammenhang mit einem Trump-Sieg sein. Vermutlich ist ein Teil davon bereits in den niedrigen Bewertungen des chinesischen Marktes berücksichtigt. Zu berücksichtigen ist, dass die Abhängigkeit der China Inc. von den USA tendenziell rückläufig ist: Im Jahr 2023 gingen 17,6 % der chinesischen Exporte in die USA; fünf Jahre zuvor waren es noch 19,3 %.2 Wie immer müssen wir den Nachrichtenfluss verfolgen und klar unterscheiden, welche Unternehmen betroffen sein könnten und welche nicht.
Alle erwähnten Punkte betreffen die kurz- bis mittelfristigen Auswirkungen der Wahlen, doch es zeichnet sich auch eine längerfristige Wirkung ab. Sowohl Biden als auch Trump scheinen die USA auf einem Pfad fiskalpolitischer Großzügigkeit und erhöhter Schuldenaufnahme halten zu wollen. In näherer Zukunft dürfte dies den Status des US-Dollars als internationale Reservewährung nicht gefährden, und der US-Markt sollte seine Rolle als „sicheren Hafen“ behalten. Die USA kommen dadurch in den Genuss geringerer Zinskosten. Doch die Märkte stellen zunehmend Fragen zur Nachhaltigkeit des finanzpolitischen Kurses des Landes. Zwar zeigen die historischen Daten bislang keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen der Höhe der Staatsverschuldung und den Renditen von US-Staatsanleihen, doch wie die Geschichte lehrt, sollte nichts als selbstverständlich angesehen werden.
Erfahren Sie mehr darüber, wie unsere Aktien- und Multi-Asset-Teams die Auswirkung der Wahlen im Jahr 2024 auf Ihre jeweiligen Märkte und Fachgebiete einschätzen.
Wir wünschen Ihnen eine erkenntnisreiche Lektüre.
Fabiana Fedeli,
Chief Investment Officer, Equities, Multi Asset and Sustainability
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