Die Märkte erklimmen eine Wand der Sorgen – doch wie lange noch?

7 min zu lesen 23 Juni 25

Die Entwicklung der Kapitalmärkte steht aus meiner Sicht im Widerspruch zur derzeitigen Risikolage. Die Unsicherheiten sind in den letzten Monaten angestiegen – und dennoch befinden sich die Bewertungen vieler Risikoanlagen am oberen Ende ihrer historischen Bandbreite. Wie passt das zusammen? Vielleicht gar nicht.

Die zuletzt immer häufiger zitierte Börsenweisheit „die Märkte erklimmen eine Wand der Sorgen“ passt aus meiner Sicht derzeit nicht richtig ins Bild. Es stimmt zwar, dass die Märkte oft der Nachrichtenlage entgegenlaufen, dies ist jedoch üblicherweise vor allem bei größeren Trendwenden mit entsprechend extremen Bewertungsniveaus der Fall. D. h. wären die Aktienmärkte derzeit weit von ihren Allzeithochs entfernt und zudem noch sehr günstig bewertet, wären gleichzeitig die Credit Spreads auf vergleichsweise hohen Niveaus, und befänden sich die Renditeniveaus langlaufender Staatsanleihen im Abwärtstrend, dann könnte man der oben genannten Börsenweisheit durchaus etwas abgewinnen. Das aktuelle Bild sieht jedoch etwas anders aus. Die Bewertungen der meistbeachteten Aktienindizes, wie der S&P 500 oder der MSCI ACWI, sind derzeit nicht gerade günstig. So ist der S&P 500 auf Basis der erwarteten KGVs rund 20 % teurer als im Zehnjahresdurchschnitt, der MSCI ACWI rund 14 %1. Auch die Kreditmärkte erscheinen derzeit eher teuer als günstig. Die Credit Spreads bei globalen Unternehmensanleihen liegen über 20 % unter ihrem Zehnjahresdurchschnitt.

Hinzu kommt, dass die Nachfrage nach klassischen Sicherheitshäfen wie dem US-Dollar und langlaufenden Staatsanleihen, nicht besonders hoch zu sein scheint, was ebenfalls für eine gewisse Sorglosigkeit unter den Investoren spricht. Die angestiegenen Risiken scheinen sich derzeit vor allem in einer Anlage zu bündeln – und zwar im Gold. So verzeichnet der Goldpreis seit Jahresbeginn einen Anstieg um knapp 30 % (in US-Dollar)2. Die meisten anderen Anlageklassen scheinen dagegen durch andere Faktoren getrieben zu sein als durch die fundamentalen Risiken.

Die Märkte nehmen die bestehenden Risiken derzeit offenbar nicht wirklich ernst. Vor allem die Politik hat in letzter Zeit für neue Risiken auf globaler Ebene gesorgt. Damit sind diese zwar menschengemacht und könnten rein theoretisch auch genauso schnell wieder gelöst werden. In der Praxis liegt die Lösung der Probleme nach aktuellem Stand jedoch in weiter Ferne. 

Die Zollthematik ist noch lange nicht gelöst

Die von der Regierung unter Präsident Trump gesetzte Deadline für den Abschluss von Handelsverträgen rückt immer näher. Am 9. Juli läuft die Aussetzung der Gegenzölle nach derzeitigem Stand aus. Bislang wurden nur mit Großbritannien und China gewisse Vereinbarungen getroffen. Im Falle Chinas erscheinen die Zölle zwar moderater als am „Liberation Day“ angekündigt, mit insgesamt 55 % sind sie dennoch deutlich höher als vor dem Amtsantritt von Donald Trump. Die übrigen Staaten dürften von den USA wohl bald einen Brief mit einem „Friss oder Stirb“-Angebot erhalten. Sollten die Zollsätze für die meisten Staaten ab dem 9. Juli signifikant ansteigen, wäre dies ein herber Schlag für den Welthandel und würde das Inflationsrisiko erhöhen. Die Märkte scheint dies derzeit jedoch kaum zu interessieren. Offenbar wird erwartet, dass entweder sehr bald akzeptable Deals geschlossen werden oder Donald Trump im letzten Moment wieder zurückrudert.

Die hohen Staatsschulden weltweit rücken langsam aber sicher in den Vordergrund

Mit dem sogenannten „Big Beautiful Bill“ hat Donald Trump neue Sorgen hinsichtlich der Schuldentragfähigkeit der USA aufkommen lassen. Das US-Haushaltsdefizit befindet sich mit über 6 % bereits auf dem höchsten Niveau außerhalb von Rezessionsphasen – mit Ausnahme des zweiten Weltkrieges. Laut Prognosen diverser Institutionen, inklusive des CBO (Congressional Budget Office), dürfte dieses Defizit mit dem Gesetzesentwurf in der jetzigen Form weiter ansteigen. Gleichzeitig steigen die Zinsaufwendungen aufgrund der höheren Renditeniveaus bei US-Staatsanleihen, was die Haushaltslage zusätzlich verschärft. Eine potenzielle Schuldenspirale aus höheren Zinsen und steigenden Defiziten ist durchaus ein ernst zu nehmendes Risiko.

Dabei ist die Staatsschuldenproblematik bei weitem kein reines US-Phänomen. Einige wichtige Staaten in Europa – beispielsweise Italien, Frankreich und Großbritannien – stehen vor ähnlich hohen Schuldenständen. Auch Japan steht aufgrund der rapide steigenden Sozialausgaben im Zusammenhang mit der alternden Bevölkerung vor einem Haushaltsproblem, auch wenn die Netto-Staatsschuldenquote nach Abzug der Vermögenswerte, die sich im Besitz des Staates und der Bank of Japan befinden, mit rund 80 %3 deutlich geringer ausfällt als die oft genannte Brutto-Staatsschuldenquote von weit über 200 %.

Die Märkte und Finanzmedien haben den US-Gesetzesentwurf nun offenbar zum Anlass genommen, die Staatsschuldenproblematik weltweit wieder in den Vordergrund zu rücken. Allerdings haben sich die langlaufenden Renditeniveaus nach einem kurzen Anstieg relativ rasch wieder stabilisiert. Auch hier zeigen sich die Märkte also nicht sonderlich besorgt. Dennoch sollte man sich nicht in Sicherheit wiegen. Das Risiko einer drohenden Staatsschuldenkrise dürfte künftig wohl häufiger auf den Tisch kommen.

In den USA brodelt es derzeit sowohl politisch als auch gesellschaftlich gewaltig 

Die politische und gesellschaftliche Polarisierung in den USA eskaliert derzeit immer weiter. So kommt es vermehrt zu Massenprotesten gegen die Regierung. Zudem nimmt die Gewaltbereitschaft einiger Hardliner der politischen Ränder zu, wodurch zusätzlicher gesellschaftlicher Sprengstoff entsteht.

Die aggressive Abschiebepraxis der Trump-Regierung trägt zur Verunsicherung bei. Laut diverser Berichte werden sogar Arbeiter und Arbeiterinnen direkt von den Fabriken, Baustellen und Ackerfeldern abgeholt und abgeschoben, was vor allem viele Kleinunternehmen in den USA hart trifft. Auch wenn dies in den Wirtschaftsdaten noch nicht ersichtlich sein mag, dürften zumindest bestimmte Bereiche der US-Wirtschaft den daraus resultierenden Arbeitskräftemangel bald zu spüren bekommen. Darüber hinaus war die durch Migration wachsende Erwerbsbevölkerung ein wichtiger Faktor für das US-Wirtschaftswachstum der letzten Jahre. Dieser Faktor dürfte sich nun merklich abschwächen.

Des Weiteren gibt es erste Berichte über einen rückläufigen Tourismus, der wohl ebenfalls auf die rigorose Vorgehensweise der Trump-Regierung und die damit einhergehenden Unsicherheiten zurückzuführen sein dürfte. Mit einem Beitrag von rund 3 % des BIP ist der Tourismus in den USA nicht zu unterschätzen.

Trotz all dieser jüngsten Entwicklungen zeigen sich die Märkte auch hier völlig unbeeindruckt, was möglicherweise darauf zurückzuführen ist, dass bislang noch keine negativen Auswirkungen auf das Konsumentenverhalten und die Wirtschaftsaktivität in der Breite erkennbar war. Gut für die Wirtschaft dürften diese Entwicklungen jedoch kaum sein. Zusammengenommen stellen diese Ereignisse aus meiner Sicht durchaus ein Risiko für die US-Wirtschaft dar, das derzeit möglicherweise unterschätzt wird.

Die geopolitischen Konflikte reißen nicht ab – im Gegenteil

Der andauernde Krieg in der Ukraine, der Krieg Israels im Gazastreifen und im Westjordanland und nun auch noch ein neuer militärischer Konflikt zwischen Israel und dem Iran halten die Welt in Atem. In der jüngeren Vergangenheit konnten derartige Konflikte kaum nachhaltige Auswirkungen auf die Kapitalmärkte entfalten. Zwar hat der Krieg in der Ukraine im Jahr 2022 die Energiepreise und damit auch die Inflation in Europa befeuert, jedoch ist es schwer abzuschätzen welchen Anteil der Konflikt am Rückgang der Aktienmärkte im Jahr 2022 hatte. Schließlich lag die Inflation auch ohne den Konflikt bereits auf sehr hohem Niveau und auch der US-Aktienmarkt, der deutlich weniger von diesem Konflikt betroffen war, befand sich zu dieser Zeit im Abwärtstrend.

Auch dem jüngsten Konflikt zwischen Israel und dem Iran scheinen die Märkte bislang kaum Beachtung zu schenken. Zwar stieg der Ölpreis zunächst deutlich an, konnte sich jedoch relativ schnell wieder stabilisieren. Dabei könnte eine größere Eskalation die iranische Ölproduktion beeinträchtigen und zudem die für den Ölhandel so wichtige Straße von Hormus blockieren. Ein daraus resultierender potenzieller Anstieg des Ölpreises könnte die Inflation wieder anheizen und somit indirekt die Konjunktur sowie die Zins- und Aktienmärkte beeinflussen – ein Szenario, dem die Märkte derzeit offenbar eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit beimessen.

Nicht alles ist teuer, aber es ist keine Schnäppchensaison

Trotz der oben genannten Unsicherheiten und Risikofaktoren befinden sich die meisten Aktienmärkte auf Allzeithochs, die Risikoaufschläge an den Kreditmärkten liegen deutlich unter ihrem historischen Durchschnitt und die Renditen langlaufender Staatsanleihen verharren im Vergleich zu den letzten 15 Jahren auf einem erhöhten Niveau.

Insgesamt scheint sich an den Aktienmärkten eine gewisse Sorglosigkeit auszubreiten. Vor allem der US-Aktienmarkt erscheint auf den ersten Blick nahezu euphorisch bewertet. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass der S&P 500 stark von den Big-Tech-Titeln dominiert wird, die wiederum vom Megatrend „Künstliche Intelligenz“ angetrieben werden. Daher spiegelt der S&P 500 die Realwirtschaft nur bedingt wieder. Ein realistischeres Bild erhält man, wenn man die gleichgewichteten Indizes heranzieht. Das erwartete KGV des MSCI USA Equal Weighted Index liegt mit einem Wert von 18 rund 15 % unter dem des kapitalmarktgewichteten S&P 500 und sehr nahe am Zehnjahresdurchschnitt4. D. h. die durchschnittliche US-Aktie ist nicht wirklich exzessiv bewertet. In Europa sind die Bewertungen sogar noch etwas günstiger, und auch in Asien gibt es teilweise noch sehr günstige Gelegenheiten – insbesondere in Korea, China, Japan, Korea und Indonesien.

Dennoch ist aus meiner Sicht heute nicht der richtige Zeitpunkt, um voll ins Risiko zu gehen. Von breit angelegten Schnäppchenkursen sind wir ein gutes Stück entfernt. Um im aktuellen Umfeld noch wirklich günstige Anlagechancen zu identifizieren, sind aus unserer Sicht ein gut durchdachter Investmentprozess, langjährige Erfahrung und ausgeprägte Stock-Picking-Fähigkeiten erforderlich.

Ähnliches gilt für die Kreditmärkte. Die Spreads befinden sich in weiten Teilen nahe ihrer historischen Tiefstände. Kursfantasie besteht hier aus meiner Sicht kaum. Das Renditepotenzial dürfte sich stattdessen eher im Rahmen der Ablaufrenditen bewegen. Gleichzeitig erscheint das Rückschlagpotenzial jedoch erhöht. Daher sollten Investoren hier entsprechend selektiv und vorsichtig vorgehen.

1 Quelle: Refinitiv, Stand: 31.05.2025
2 Quelle: Refinitiv, Stand: 31.05.2025
3 Quelle: St. Louis Fed, Stand: März 2025, https://www.stlouisfed.org/on-the-economy/2025/apr/what-is-behind-japan-high-government-debt
4 Quelle: Refinitiv, Stand: 31.05.2025

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