Märkte für freiwillige CO2-Kompensation – Freund oder Feind des Klimas?

6 min zu lesen 16 März 23

Unternehmen setzen verstärkt auf freiwillige Emissionsgutschriften, um ihre Netto-Null-Emissionsziele zu erreichen. Doch wie wirksam und glaubwürdig sind solche Zertifikate? Dazu und zur Zukunft der Märkte für freiwillige CO2-Kompensation (VCMs) bleiben viele Fragen offen: auch angesichts der Fortschritte bei der Schaffung eines internationalen CO2-Marktes, die auf der Klimakonferenz COP27 im Jahr 2022 endlich erreicht wurden.

Was sind freiwillige Emissionsgutschriften?

Freiwillige Emissionsgutschriften (präziser gesagt „Emissionsminderungsgutschriften“) erwirbt ein Emittent aus einem Projekt, wodurch Emissionen reduziert werden. Beispiele dafür sind der Ausbau erneuerbarer Energien oder ein Projekt zur Wiederaufforstung. Diese Emissionen werden von unabhängigen Anbietern wie beispielsweise Verra nach eigenen Standards überprüft. Der Käufer legt die erworbenen Zertifikate anschließend still, um eine Mehrfachverwendung auszuschließen. Im Ergebnis kann er dann behaupten, seine eigenen Emissionen „ausgeglichen“ zu haben.

Diese Gutschriften unterscheiden sich von Compliance-Zertifikaten, die Teil der verpflichtenden CO2-Emissionsziele eines Landes sind: Denn sie sind außerhalb des eigenen Emissionsbudgets, oder sie können Emissionen in anderen Ländern ausgleichen. Das bekannteste Beispiel für ein Compliance-System ist das europäische Emissionshandelssystem.

Nach Schätzungen von Ecosystem Marketplace wurden im Jahr 2021 weltweit etwa 500 Millionen Tonnen freiwilliger Emissionsgutschriften gehandelt. Das entspricht einer Verfünffachung in den letzten zehn Jahren. Der Grund dafür ist, dass Unternehmen ihre Emissionsminderungsziele schneller erreichen möchten, als dies auf anderen Wegen möglich ist – etwa durch andere Formen der CO2-Reduzierung oder durch die Verringerung eigener Emissionen.

Dazu einige Zahlen des unabhängigen Carbon Disclosure Project (CDP): Im Jahr 2020 haben 29 % der berichtenden Unternehmen Emissionsgutschriften erworben; 87 % davon waren freiwillige Kompensationen. Aufgrund des relativ geringen Angebots zogen die Preise 2022 um 60 % an: von 2,52 US-Dollar pro Tonne CO2 auf einen gewichteten Durchschnitt von 4 US-Dollar pro Tonne. Damit ist das Marktvolumen auf beeindruckende 2 Milliarden US-Dollar gestiegen.

Marktgröße für freiwillige CO2-Kompensation

Quelle: Ecosystem Marketplace, 2021.

Wie funktioniert die Preisfindung für freiwillige Emissionsgutschriften?

Die Preise für die Gutschriften hängen von verschiedenen Fragen ab: Beseitigt ein Projekt Emissionen, oder vermeidet es sie nur? Hätte die Beseitigung ohne dieses Projekt nicht stattgefunden („Additionalität“)? Welchen potenziellen Zusatznutzen, beispielsweise soziale Vorteile wie die Unterstützung lokaler Gemeinschaften oder der Biodiversität, bietet es?"

Damit wird klar, warum Projekte in den Bereichen erneuerbare Energien, Energieeffizienz und Verkehr am wenigsten kosten: 1-2 US-Dollar pro Tonne CO2. Denn sie verringern die Emissionen lediglich und vermeiden sie nicht. Forst- und Landwirtschaft dagegen sind mit rund 6-9 US-Dollar pro Tonne am teuersten, da sie als CO2-Speicher fungieren. Die CO2-Abscheidung und -speicherung sowie die direkte Abscheidung aus der Umgebungsluft erzeugen einige der wertvollsten Gutschriften. Der Grund dafür ist die Dauerhaftigkeit des Abbaus.

VCM-Projekttypen – Volumen und Preis

Quelle: Ecosystem Marketplace, 2021.

Zur vereinfachten Abwicklung entwickeln Finanzbörsen wie die CME Group standardisierte Terminkontrakte für die Absicherung – und damit die Finanzierung – von Projekten. Doch führt das tatsächlich zu standardisierten und fungible gehandelten Kontrakten? Angesichts der Vielfalt der Projekttypen und der unterschiedlichen Projektqualität könnte dies schwierig sein.

Wo ist der Haken?

Der freiwillige Markt steht vor verschiedenen großen Herausforderungen. Dazu gehören die Additionalität der Projekte; die Dauerhaftigkeit des Abbaus (was passiert beispielsweise, wenn eine Gutschrift für ein Wiederaufforstungsprojekt ausgestellt wurde und der Wald abbrennt?); die Möglichkeit der Doppelzählung durch das Projektland und das Land, das den Ausgleich vornimmt; und die Probleme mit der Integrität von Gutschriften, die im Rahmen des früheren Kyoto-Protokolls ausgestellt wurden. Eine Studie des Stockholmer Umweltinstituts hat die Gutschriften betrachtet, die im Rahmen des früheren UNFCCC-Systems ausgestellt wurden. Demnach weisen rund 80 % davon (oder 600 Millionen) keine Additionalität auf. Die Autoren der Studie bezweifelten bei den meisten der Projekte sogar, dass sie überhaupt existiert haben.

Die Integrität wird als eine der größten Herausforderungen für den Markt angesehen, und es wird an Lösungen dafür gearbeitet. Die unabhängige Initiative „Integrity Council for the Voluntary Carbon Market“ (ICVCM) plant, im ersten Quartal 2023 „Core Carbon Principles“ zu veröffentlichen. Damit sollen globale Standards für qualitativ hochwertige CO2-Zertifikate festgelegt werden.

Selbst wenn diese Integritätsprobleme gelöst werden können, werden einige Unternehmen durch die fehlende Standardisierung der Gutschriften und den Mangel an kapitalkräftigen Zwischenhändlern, abgeschreckt. Um dieses Problem zu lösen, will der Global Carbon Trust eine Standardisierung der Gutschriften schaffen; dabei will er selbst als eine Art „globale Gegenpartei“ für CO2-Gutschriften fungieren.

Was hat die COP27 gebracht?

Artikel 6 des Pariser Klimaabkommens ermöglicht den Ländern eine freiwillige Zusammenarbeit, um im Rahmen ihrer nationalen CO2-Budgets Emissionsreduzierungen zu erreichen. Ende 2022 wurde auf der COP27 endlich ein Zeitplan für die Umsetzung definiert. Dabei sind drei Unterartikel relevant:

  • Artikel 6.2 erlaubt es Land A, für Emissionsminderungen in Land B zu bezahlen. Auf der COP27 wurden erstmals ein „International Transferred Mitigation Outcome” genehmigt – konkret: Die Schweiz darf sich Emissionsminderungen aus der Installation effizienter Beleuchtung und sauberer Herde in Ghana auf ihr nationales Budget anrechnen lassen.
  • Artikel 6.4 ermöglicht den internationalen Handel mit Emissionsgutschriften auf einem offenen Markt. Dies wird wahrscheinlich nicht vor 2024 möglich sein.
  • Artikel 6.8 lässt nicht-marktwirtschaftliche Ansätze – wie Zuschüsse, Technologietransfer oder Investitionen in Kapazitäten – ohne Emissionshandel zu.

Für freiwillige Emissionsgutschriften ist vor allem Artikel 6.4 von Bedeutung, denn dadurch würde ein konkurrierender Markt geschaffen. Freiwillige Gutschriften fallen jedoch nicht unter Artikel 6 und sind daher nicht anrechenbar. Deshalb könnten Unternehmen letztlich Gutschriften kaufen, die doppelt gezählt wurden. Dies könnte die Glaubwürdigkeit der Märkte für freiwillige CO2-Kompensation gefährden.

Die Rolle der Märkte für freiwillige CO2-Kompensation auf dem Weg zu Netto-Null

Die Meinungen über die Rolle der Märkte für freiwillige CO2-Kompensation beim Erreichen von Netto-Null-Emissionen sind geteilt. Beispielsweise sagt die „Taskforce for Scaling the Voluntary Carbon Market” (TSVCM): Die freiwilligen Märkte müssten bis 2030 um das 15-fache wachsen, also auf 1,5-2 Gigatonnen pro Jahr. Bis 2050 müsste der Wert sogar bei 13 Gigatonnen liegen. Nur dann könnten wir der TSVCM zufolge die durchschnittliche globale Erwärmung auf 1,5°C über dem vorindustriellen Niveau begrenzen.

Das britische „Climate Change Committee” berichtete im Oktober 2022, dass die Märkte für freiwillige CO2-Kompensation zwar eine wichtige Rolle bei der Erreichung von Netto-Null spielen werden – jedoch nur eine kleine. Ihr Argument: Ohne klare Vorgaben der Regierungen, ohne Regulierung und Standards könnten diese Märkte den Fortschritt in Richtung Netto-Null sogar verlangsamen.

Eine andere Forderung stellt die „Science Based Targets“ Initiative auf. Die Initiative begleitet Unternehmen dabei, Ziele für die Emissionsreduktion festzulegen, die im Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen stehen. Ihr zufolge darf der CO2-Abbau nur einen Anteil von 5-10 % an den Emissionsverringerungen ausmachen, wenn Unternehmen Netto-Null erreichen wollen.

Schlussendlich haben die Märkte für freiwillige CO2-Kompensation Unternehmen einen Weg zur Emissionsreduzierung eröffnet. Doch der nachhaltigste Weg zum Netto-Null-Ziel, der am wenigsten Fragen aufwirft, ist die direkte Verringerung von Emissionen. Konkret: auf CO2-arme Energie umstellen, andere Klimaschutzinnovationen einführen und den Anteil CO2-armer Produkte erhöhen.

von Lucy Hancock

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