Wie wird KI das Anlegerverhalten revolutionieren?

7 min zu lesen 12 März 24

Im November 2022 veröffentlichte OpenAI die Demoversion seines auf künstlicher Intelligenz basierenden Chatbots ChatGPT. Seitdem ist die Welt in heller Aufregung, wie die generative KI fast alle Lebensbereiche verbessern kann. Die Nutzung von ChatGPT stieg rasant und Mitbewerber stellten schon bald ähnliche Anwendungen vor.

Die generative KI wird sich auf alle Wirtschaftszweige auswirken, doch wahrscheinlich werden manche Branchen früher betroffen sein als andere. Die Finanzbranche dürfte zu den ersten gehören, die sich durch die neue Technologie verändert. Denn KI kann große Datenmengen in kürzester Zeit analysieren. Dies könnte neue, schnellere Wege für Investititonsentscheidungen eröffnen.

Wie kann KI das Investieren revolutionieren? Einige wichtige Aspekte im Überblick:

  1. Erweiterte Datenanalyse: KI-Algorithmen können riesige Mengen von Finanzdaten verarbeiten und Muster erkennen, die Menschen möglicherweise übersehen. Dies kann Investoren helfen, fundiertere Entscheidungen zu treffen und neue Anlagemöglichkeiten zu entdecken.
  2. Automatisierter Handel: KI-gestützte Handelssysteme können auf Basis vordefinierter Algorithmen Geschäfte mit hoher Geschwindigkeit abwickeln. Dies macht manuelle Eingriffe überflüssig und ermöglicht es, Marktbewegungen in Echtzeit zu nutzen.
  3. Risikobewertung und -management: KI kann Marktrisiken bewerten, indem sie wichtige Faktoren kontinuierlich überwacht – beispielsweise Wirtschaftsindikatoren, Tendenzen in den Nachrichten und historische Daten. So können Investoren Risiken präziser bewerten und ihre Portfolios entsprechend anpassen.
  4. Personalisierte Anlageempfehlungen: Durch die Analyse der finanziellen Ziele einer Person, ihrer Risikotoleranz und der Marktbedingungen kann KI personalisierte Anlageempfehlungen geben. Dies kann Investoren helfen, ihre Portfolios zu optimieren und ihre finanziellen Ziele zu erreichen.
  5. Stimmungsanalyse („Sentiment“): KI kann soziale Medien, Nachrichtenbeiträge und andere Informationsquellen analysieren, um die Marktstimmung einzuschätzen. Dies liefert wertvolle Erkenntnisse über Markttrends, die öffentliche Wahrnehmung und mögliche Auswirkungen auf Investitionen.

Werfen wir einen genaueren Blick auf die einzelnen Möglichkeiten: Wie könnten sie das heutige Investieren beeinflussen? Bei der erweiterten Datenanalyse können KI-Algorithmen riesige Mengen von Finanzdaten verarbeiten und Muster erkennen, die Menschen möglicherweise übersehen. Dies kann Investoren helfen, potenzielle Anlagemöglichkeiten aufzuspüren, die sie sonst nicht entdeckt hätten.

Neue Korrelationen erkennen

Der KI-Algorithmus könnte beispielsweise eine direkte Korrelation zwischen der Veröffentlichung eines unbekannten Wirtschaftsindikators und den Kursentwicklungen feststellen: Einen solchen Zusammenhang würden die Investoren möglicherweise übersehen – weil sie den betreffenden Indikator vielleicht als unwichtig betrachten. Analysen dieser Art laufen in einem gewissem Umfang bereits heute.

Investoren müssen jedoch vorsichtig sein und dürfen der KI nicht blind vertrauen. Historische Muster sind nicht unbedingt geeignet, um das künftige Marktverhalten genau vorherzusagen. Genau das weiß der Algorithmus aber nicht. Stattdessen leitet er mit falscher „Zuversicht“ möglicherweise positive Renditeprognosen daraus ab – unabhängig von anderen Faktoren, die Entscheidungen der Investoren beeinflussen. Das können beispielsweise geopolitische Ereignisse sein oder Ansteckungseffekte durch Kursbewegungen anderer, vermutlich unkorrelierter Vermögenswerte.

Der automatisierte Handel ist ein logischer nächster Schritt. Bereits jetzt werden im Hochfrequenzhandel (HFT) Algorithmen eingesetzt. Sie führen Geschäfte mit hoher Geschwindigkeit durch und versuchen so, jede Ineffizienz des Marktes zu kapitalisieren. Um die Vorteile des automatisierten Handels optimal zu nutzen, sollten die Investoren jedoch mit großen Beträgen handeln: HFT-Systeme sind im Allgemeinen auf Skaleneffekte angewiesen, um relevante Renditen zu erzielen.

Wie sieht es mit der Bewertung und dem Management von Risiken aus? Dort kann die KI wesentlich dazu beitragen, dass Investoren schnell auf veränderte Marktbedingungen reagieren können. Sie kann Investoren beispielsweise auf unerwartete positive oder negative Wirtschaftsindikatoren aufmerksam machen, indem sie Datenveröffentlichungen, Marktbedingungen und aktuelle Nachrichten in Echtzeit überwacht. Kein Mensch kann bei solchen Aufgaben mit dem Tempo eines Algorithmus mithalten.

KI kann auch Algorithmen zur Verarbeitung natürlicher Sprache (NLP) nutzen, um Nachrichtenartikel, Beiträge in sozialen Medien und andere Informationsquellen zu analysieren und um Trends und Stimmungen in Bezug auf bestimmte Unternehmen oder Branchen zu erkennen. Dies kann Anlegern helfen, fundiertere Entscheidungen zu treffen, als wenn sie nicht über diese Daten verfügen würden.

Robo-Advisor auf dem Vormarsch

Für personalisierte Anlageempfehlungen benötigt die KI Inputdaten. Dazu gehören etwa die Risikotoleranz des Investors, seine Anlageziele und seine finanzielle Situation. Die KI berücksichtigt makro- und mikroökonomische Faktoren, um historische Daten zu analysieren und die Wertentwicklung zu prognostizieren. Sie nutzt Algorithmen des maschinellen Lernens, um Empfehlungen auf der Grundlage der individuellen Lage des Investors abzugeben.

Es gibt bereits KI-gestützte Tools, die „Robo-Advisor“. Diese geben personalisierte Anlageempfehlungen – mit unterschiedlichem Erfolg. In Großbritannien ist die Online-Anlageplattform Nutmeg vielleicht am bekanntesten. Sie bietet vollständig gemanagte Portfolios an sowie Portfolios mit fester Allokation oder einer Ausrichtung auf soziale Verantwortung.

Nutmeg sieht sich selbst nicht als „Robo-Advisor“.1 Das Unternehmen kombiniert nach eigenen Angaben Technologie und menschliche Entscheidungsfindung. Sein Flaggschiff sind vollständig gemanagte Portfolios. Bei diesen entscheiden Menschen darüber, welche ETFs welchen Anteil am Portfolio eines Nutzers haben. Gemanagt werden sie dann mit einer KI, die Informationen zu Marktbewegungen, Nachrichten und Datenanalysen berücksichtigt.

Ein weiteres Beispiel ist das von Forbes unterstützte Q.ai. Die Online-Investitionsplattform und App basiert auf einer leistungsstarken Deep-Learning-Technologie. Damit bietet sie eine automatisierte Finanzberatung und kann im Namen der Nutzer Transaktionen durchführen. Die Nutzer legen ihre Risikotoleranz und ihren Anlagehorizont fest. Zudem wählen sie aus verschiedenen Anlagethemen, beispielsweise Wachstum, Value oder Income. Die KI erstellt auf dieser Grundlage ein Portfolio, das den Präferenzen und Zielen des Nutzers entspricht. Sie überwacht auch die Marktbedingungen und passt das Portfolio an, um die Rendite zu maximieren und Verluste zu minimieren.

Eine Stimmungsanalyse (Sentiment) kann KI auf verschiedene Arten durchführen. Das Grundprinzip ist stets dasselbe: Mit Hilfe der Verarbeitung natürlicher Sprache (NLP) werden Nachrichtenbeiträge, Postings in sozialen Medien und andere Texte durch KI analysiert. So entsteht ein Bild von der Marktstimmung. Die Ergebnisse werden dann beispielsweise als binäres Ergebnis (positiv/negativ) oder – differenzierter – als Punktzahl auf einer Skala angegeben.

Den Zugang zu Chancen demokratisieren

KI kommt seit Jahren bei spezialisierten Anlagestrategien zum Einsatz – etwa bei der auf maschinellem Lernen basierenden Strategie von M&G. Wenn KI allgemeiner verfügbar wird, wird sie voraussichtlich den Zugang zu einer schnellen, umfassenden Analyse riesiger Datenmengen erleichtern. Dies kann Investoren Chancen bieten, die sie sonst vielleicht verpasst hätten. Es ermöglicht auch eine Früherkennung entstehender Markttrends und eine bessere Diversifizierung.

Diese neue Ära des Investierens ist jedoch nicht ohne Gefahren. Die KI stützt sich bei ihren Empfehlungen sehr auf historische Daten. Daher besteht die Gefahr, dass die Modelle falsche Vorhersagen treffen. Das wiederum kann die Investoren zu falschen Anlageentscheidungen verleiten. Denn bekanntlich ist die vergangene Wertentwicklung kein verlässlicher Indikator für die künftige Wertentwicklung.

Einige KI-Modelle begründen ihre Entscheidungen nicht transparent. Dies erschwert es Investoren, die Gründe für bestimmte Anlageempfehlungen zu verstehen und eventuell entgehen ihnen so Informationen, die sie für ihre Anlageentscheidung benötigen.

Hinzu kommt das Problem von „Halluzinationen“: In solchen Fällen liefert das KI-Modell plausibel klingende Antworten, die aber frei erfunden sind. So hat beispielsweise ein Anwalt in New York Anfang 2023 einen Schriftsatz eingereicht, für den er ChatGPT herangezogen hatte. Anschließend stellte sich heraus, dass die KI sechs dort zitierte Gerichtsentscheidungen einfach erfunden hatte. Später entschuldigte sich der Anwalt dafür: Er habe sich so sehr auf die neue Technologie verlassen, dass er deren Antworten nicht auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft habe.

Daher wird KI in Anlageprozessen wahrscheinlich vorerst vor allem eingesetzt, um bestehende Aufgaben zu rationalisieren und effizienter zu gestalten – und nicht, um den Großteil des Prozesses vollständig zu übernehmen. Ein aktueller Bericht von Deloitte2 listet einige Möglichkeiten auf, wie KI dabei eingesetzt werden könnte:

  • Protokolle zur Verkündung von Quartalsergebnissen auswerten, um die Stimmungslage der Vorstände zu ermitteln
  • Beziehungen zwischen Wertpapieren und Marktindikatoren identifizieren
  • Alternative Daten wie Wettervorhersagen und Bewegungen von Containerschiffen analysieren
  • Transaktionen auf Verdachtsfälle untersuchen und Reaktionsprotokolle auslösen
  • Portfolio- und Risikokommentare sowie andere Reports für Kunden erstellen
  • Chatbots und maschinelles Lernen einsetzen, um Fragen von Mitarbeitern oder Investoren zu beantworten

All dies führt zu einer Schlussfolgerung: Bei der Geldanlage ist KI kein Ersatz für menschliche Fähigkeiten und Kenntnisse. Es ist eher ein zusätzliches ausgefeilteres Werkzeug. Investmentmanager können es ergänzend nutzen, um die besten Ergebnisse für ihre Kunden zu erzielen. Privatanleger können damit auf Daten und Trends zugreifen, zu denen sie sonst keinen Zugang hätten. Letztendlich sollte die Anlageentscheidung jedoch vom Menschen getroffen werden.

Der Wert der Vermögenswerte des Fonds und die daraus resultierenden Erträge können sowohl fallen als auch steigen. Dies führt dazu, dass der Wert Ihrer Anlage steigen und fallen wird, und Sie bekommen möglicherweise weniger zurück, als Sie ursprünglich investiert haben.

1 https://resources.nutmeg.com/Our-investment-styles-explained.pdf

2 Artificial intelligence | The next frontier for investment management firms

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