Wie stark ist die US-Wirtschaft wirklich?

5 min zu lesen 28 Aug. 25

Wie stark ist die US-Wirtschaft wirklich?

Die US-Wirtschaft steht einmal mehr im Mittelpunkt zahlreicher Diskussionen. Galt sie vor einigen Wochen noch als nahezu unverwüstlich, hat dieses Bild spätestens seit dem jüngsten Arbeitsmarktbericht vom 1. August erste Kratzer erhalten. Dieser stellt nämlich die tatsächliche Stabilität des Arbeitsmarktes in Frage. Von den neugeschaffenen Stellen außerhalb der Landwirtschaft sind für die beiden Monate Mai und Juni nach den gemeldeten Abwärtsrevisionen um insgesamt 258.000 Stellen nicht viele neugeschaffene Stellen übrig geblieben. Der Arbeitsmarkt scheint also doch nicht so stark zu sein, wie noch vor einigen Wochen angenommen. Dabei wurde dieser von vielen Optimisten als eine der großen Säulen der US-Wirtschaft angepriesen. An den US-Börsen lösten die jüngsten Abwärtsrevisionen einen kurzzeitigen Abverkauf aus. Dennoch befindet sich der US-Aktienmarkt noch immer nahe seiner Allzeithochs. Ein steigender Pessimismus ist hier somit bislang noch nicht wirklich erkennbar.

Wie ist es um den US-Konsumenten bestellt?

Mit einem Anteil von etwa 70 % der gesamten Wirtschaftsleistung ist und bleibt das Herzstück der US-Wirtschaft der Konsum. Obwohl das Konsumentenvertrauen bereits seit längerer Zeit klare Schwächesignale sendet, ist der tatsächliche Konsum offenbar robust geblieben. Darauf deuten jedenfalls die Zahlen der Konsumausgaben und Einzelhandelsumsätze hin.

Zwei Faktoren könnten diese Divergenz zwischen Stimmung und Realität erklären: Zum einen sind die Kreditkartenschulden in den letzten Quartalen deutlich angestiegen, was darauf hindeuten könnte, dass diese die mittlerweile aufgebrauchten Ersparnisse aus der Covid-Zeit zumindest teilweise abgelöst haben. Dies trifft vor allem auf die mittleren und unteren Einkommensschichten zu, deren Kreditkartenschulden mittlerweile über dem Niveau vor der COVID-Zeit liegen1. Zum anderen sind es vor allem die oberen Einkommensschichten, die für den Löwenanteil des Konsums verantwortlich sind und diesen offenbar über Wasser halten. Diese Haushalte dürften aufgrund weiterhin solider Reallohnsteigerungen und nicht zuletzt auch aufgrund der steigenden Aktienmärkte und dem damit verbundenen Wohlstandseffekt noch keine Veranlassung sehen, ihre Konsumausgaben einzuschränken. Anders sieht es bei den unteren Einkommensschichten aus. Laut einer Analyse der Bank of America ist das Wachstum der Konsumausgaben dieser Gruppe im Juli zum Erliegen gekommen.2

Der US-Konsum steht möglicherweise auf wackligeren Beinen als gedacht

Primär könnten aus meiner Sicht drei Faktoren den US-Konsum und damit die US-Wirtschaft ins Wackeln bringen:

  • Eine weitere Abschwächung des Arbeitsmarktes könnte die Einkommen belasten und das Vertrauen selbst der einkommensstarken Konsumenten erschüttern. Daher dürften alle Augen mit Spannung auf den nächsten Arbeitsmarktbericht, der am 5. September veröffentlicht wird, gerichtet sein. Sollte dieser erneut enttäuschen, könnte die Stimmung endgültig drehen, was auch den Konsum und damit die Konjunktur insgesamt unter Druck bringen könnte.
  • Ein zollbedingter plötzlicher Anstieg der Inflation könnte die Realeinkommen und somit die Konsumausgaben schrumpfen lassen. Dies würde zwar zunächst die unteren Einkommen besonders belasten, dennoch könnte dies auch die oberen Einkommensschichten durchdringen. Zwar gaben die jüngsten Zahlen zur Konsumentenpreisinflation (CPI) keinen Anlass zur Sorge, die Zahlen zur Produzentenpreisinflation (PPI) dagegen schon. Denn die Produzentenpreisinflation ohne Energie und Lebensmittel (Core PPI) ist mit 3,7 % auf Jahressicht deutlich höher ausgefallen als die im Durchschnitt prognostizierten 2,9 %. Die Diskrepanz zwischen der CPI- und PPI-Inflation könnte darauf hinweisen, dass die Unternehmen die gestiegenen Preise bislang nur in geringem Maße an den Konsumenten weitergereicht haben. Dies könnte sich aber im Laufe der nächsten Monate ändern. Denn je mehr Klarheit hinsichtlich der Zölle herrscht, desto eher könnten die Unternehmen geneigt sein, ihre abwartende Haltung aufzugeben und damit beginnen, ihre Margen zu verteidigen.  
  • Ein deutlicher Rücksetzer am US-Aktienmarkt hätte zum einen Auswirkungen auf die allgemeine Stimmung in der Wirtschaft, und zum anderen auch direkte Auswirkungen auf die weiter oben genannten einkommensstärksten Haushalte indem er den Wohlstandseffekt erodieren könnte (die einkommensstärksten 10 % der US-Haushalte halten knapp 90 % der privaten Aktienanlagen3). Ein solcher Rücksetzer könnte aufgrund von schwächeren Makrodaten erfolgen, oder auch aus anderen Gründen, wie z. B. immer weiter steigenden langlaufenden US-Staatsanleiherenditen. Klar ist aber auch, ein solcher Rücksetzer müsste signifikanter und vor allem langlebiger ausfallen als die jüngsten sehr kurzweiligen Korrekturen, um die Konsumlaune tatsächlich zu beeinflussen. In Anbetracht der historisch hohen Bewertung wäre ein solcher Aktienmarktrückgang alles andere als abwegig und hätte durchaus das Potential, eine Abschwächung des Konsums zu verstärken und somit eine negative Spirale zu befeuern.

Das Schreckgespenst Stagflation macht wieder die Runde

Besonders problematisch wäre die Kombination aus steigender Inflation (siehe Punkt 2 oben) und abkühlender Konjunktur. Tatsächlich machen sich unter den Marktbeobachtern derzeit Sorgen über ein solches Stagflationsszenario breit. Denn die Zölle sorgen für einen angebotsseitigen Inflationsdruck, welcher in den jüngsten PPI-Inflationszahlen bereits erkennbar ist. Auch im Verbrauchervertrauen zeigen sich die Konsumenten pessimistisch, während sie gleichzeitig eine deutlich erhöhte Inflation erwarten. Für die US-Notenbank wäre es in einer Stagflation jedenfalls schwieriger zu rechtfertigen, die Zinsen zu senken. Dies könnte wiederum die Hoffnungen vieler Investoren, die in Zinssenkungen einen Grund für weiter steigende Aktienkurse sehen, zunichtemachen.

Ob dieses Narrativ der Stagflation in den USA diesmal längerfristig Bestand haben wird oder sich doch wieder nur als kurzes Intermezzo herausstellt, dürfte sich wohl spätestens mit der Veröffentlichung der nächsten Konjunktur- und Inflationszahlen zeigen. In den Bewertungen der Risikoanlagen (v. a. US-Aktien und Unternehmensanleihen) sind die oben beschriebenen Sorgen in der breite jedenfalls noch nicht wirklich erkennbar. Daher bleibt den Anlegern nichts anderes übrig als selektiv vorzugehen, auf Sicht zu fahren und die Defensive nicht zu vernachlässigen.

1 Federal Reserve Bank of Boston (Why Has Consumer Spending Remained so Resilient? Evidence from Credit Card Data), 13. August 2025.
2 Bank of America (Consumer Checkpoint: Gains and gaps), 12. August 2025.
3 Federal Reserve Distributional Financial Accounts, 20. Juni 2025.

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